Freitag, 27. Juni 2014

Warten auf ein Wunder

 Wie eine Katze im Regen, so saß Jogi auf der Trainerbank in Recife. Die Vorrunde ist vorbei, und während Deutschland schon Weltmeister ist, warten wir noch auf das belgische Wunder.


Wurschtigkeit ist das Gefühl, das am besten mein Verhältnis zur Gruppe H beschreibt. Da gab es Belgien, der extrem geheime Geheimfavorit, der sich in der schwachen Gruppe nicht angepatzt hat und mit dem Punktemaximum im Achtelfinale steht. Mit Ruhm haben sie sich auch nicht bekleckert, aber Ruhm ist in Spielen gegen Kapazunder wie Russland, Algerien und Südkorea auch nicht zu holen.
Algerien hat sich den Aufstieg verdient, weil sie gegen Belgien besser dagegen gehalten haben als gedacht und über Südkorea drübergefahren sind. Dass Russland gestern an ihnen gescheitert ist, verbuche ich als eine Form von Gerechtigkeit, die die Grenzen des Fußballs übersteigt. Sollen jene gegen Deutschland ausscheiden, die noch nie in einem Achtelfinale waren - eine von zwei übrigen afrikanischen Mannschaften und die einzige verbleibende arabische. Viel Unterschied wird es ja nicht machen...

Das Spiel Deutschland gegen USA war die erwartet laue Partie. Erhofft hätten wir uns freilich ein frisch aufspielendes Team USA, das Deutschland nicht nur verunsichern, sondern sogar besiegen könnte. Das wäre vielleicht unter anderen Bedingungen möglich gewesen: Beiden reichte ja ein Unentschieden, und der Aufstieg der USA wäre nur bei einem Sieg Ghanas gegen Portugal mit zwei Toren Unterschied gefährdet gewesen. So, oder so ähnlich halt. Ist ja jetzt auch egal.
Ein Sieg der Amerikaner wäre unter einem anderen Gesichtspunkt schön gewesen: Die Begeisterung für "Soccer" war wohl noch nie so groß wie gerade jetzt - vielleicht mit Ausnahme der Heim-WM von 1994, obwohl die ja das Ganze erst vorbereitet hat. Ich merke das nicht nur an den Medienberichten, sondern auch an der Begeisterung meiner amerikanischen Verwandten, für die das sonst als öde geltende Soccer plötzlich ein ganz großes Ding ist. Die momentane Begeisterung für Soccer lässt sich annähernd mit der durchschnittlichen Begeisterung für College-Football vergleichen - und das ist viel. Sehr viel sogar!

Und es ist der Verdienst von Jürgen Klinsmann, der sogar so weit ging, ein (nicht ganz ernst gemeintes) Entschuldigungsschreiben für alle Angestellten aufzusetzen, die in ihrer Mittagspause das Fußballspiel anschauen sollten. Klinsmann macht in den USA jetzt das, was er 2006 in Deutschland gemacht hat: Er begeistert die Massen für den Fußball. Nicht, dass man sich in Deutschland nicht schon vorher für die Nationalmannschaft begeistert hätte - aber Klinsmann gab dem ganzen im Rahmen der Heim-WM einen neuen Dreh. Fußball sollte Emotion sein, er sollte spielerisch begeistern und nicht nur die richtigen Ergebnisse liefern. 2006 war das Jahr, in dem die deutschen Fußballer anfingen, sogar den Österreichern sympathisch zu werden. Klinsmann und Löw (damals noch Co-Trainer) an der Seitenlinie im hellblauen Hemd, die Ärmel lässig hochgekrempelt. Der eine Motivator, der andere System-Erdenker - so hat man es in Erinnerung. Dass daraus nicht nur ein attraktives deutsches Spiel entwachsen ist, sondern auch der ganze Schland-Wahnsinn, dafür kann der Klinsi nix.

Der macht sich nun daran, den Soccer in den USA zu revolutionieren. Deshalb war das Spiel gegen Deutschland so wichtig. Nicht, weil es für den Aufstieg ins Achtelfinale so wichtig war, sondern weil ein Sieg gegen eine große Fußballnation, gegen einen dreimaligen Weltmeister und momentanen Mitfavoriten den Amerikanern das Gefühl gegeben hätte, das sie immer brauchen: nämlich unbesiegbar zu sein. Egal, ob dieses Gefühl dann gerechtfertigt gewesen wäre, oder nicht. Der Fußball selbst jedenfalls kann von einer Begeisterung in den USA nur profitieren.

Ein bisschen bitterer Beigeschmack bleibt aber doch, schließlich sind die Gräben zwischen US-Sport und dem guten, alten Fußball doch noch auszumachen. Das Konzept nämlich, dass man trotz einer Niederlage weiterkommt, ist im US-Sport wenn nicht unbekannt, so doch zumindest suspekt. Noch suspekter ist den Amerikanern allerdings das Konzept eines Unentschiedens, eines Null-zu-nulls gar; insofern können wir froh sein, dass es gestern nicht dazu gekommen ist. "What? They didn't score no goal and still they're through? That's insane!", höre ich den Soccer-Neuling empört rufen.
Umso großartiger aber gestern die amerikanischen Fans im Stadion von Recife: Jeder Zweikampf wurde frenetisch bejubelt, jeder Pass beklatscht, jeder Ballverlust mit einem "Oooh" betrauert. Man spürt, da geht was im Land der bisher begrenzten Soccer-Möglichkeiten!


Im Achtelfinale dürfen die Amis jetzt gegen Belgien ran, den - ich sage es jetzt zum x-ten Mal - überaus geheimen Geheimfavoriten. Für die Belgier werden die USA ein erster richtiger Test. An einem guten Tag kann man aus einer Partie gegen einen fußballerischen Emorkömmling durchaus Momentum für das Viertelfinale mitnehmen, um den Geheimfavoritenstatus endlich gerecht werden zu können. An einem schlechten Tag ist es vorbei mit dem Geheimnis, da ruft die Nation, die gerade erst den Fußball lieben gelernt hat, "aber der Kaiser ist doch nackt!", und in ein paar Jahren werden wir uns daran erinnern, dass wir Belgien vor der WM so viel zugetraut haben, und sie dann in einer Pemperl-Gruppe den Sieg davongetragen haben, nur um dann im Achtelfinale gegen Klinsmanns One-Nation-one-Team-Armee zu verlieren. Das belgische Fußballwunder - es steckt momentan (noch) in den Kinderschuhen!

Deutschland macht weiter wie bisher: Siege einfahren, aber nicht überzeugen. Recht haben sie - muss man auch nicht, denn selbst wenn man das Finale gewinnt und nicht überzeugt hat, ist man trotzdem Weltmeister. Wenn aber alles nach Plan läuft, trifft Deutschland im Viertelfinale auf Frankreich, und gegen die wird das Nicht-Überzeugen nicht reichen. Da hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder man überzeugt endlich (mit dem Bayern-Mittelfeld Lahm-Schweinsteiger-Kroos ist man zumindest in dieser Abteilung auf dem besten Weg dazu), oder man beruft sich auf das Glück, das einer Fußball-Großmacht bei so einem Turnier zusteht.
Ich hätte Deutschland gerne gegen Belgien gesehen, das wäre ein wirklich interessantes Spiel geworden! Möglich ist das nun erst im Finale, und deswegen recht unwahrscheinlich. Aber darüber reden wir, falls sich das belgische Wunder anfängt, tatsächlich zu ereignen...


Held des Tages:
Islam Slimani, der Held Algeriens. Sein Treffer bescherte den Aufstieg. Wir werden ihn bald vergessen haben, er aber wird zum algerischen Hans Krankl werden. Alles Gute dafür - und Beileid.

Buhmann des Tages:
Der Regen in Recife, der gar die Austragung des Spiels USA gegen Deutschland gefährdet haben soll. So macht Soccer keinen Spaß!


ORF-Anmerkung:
Weil Bela Rethy ja eigentlich auch ein Zustand ist, und man Deutschland-Spiele sowieso nicht im deutschen Fernsehen anschauen kann, habe ich gestern wieder dem ORF gefrönt. Es ist beachtlich, wie man es schafft, Aussprachefehler in witzige Sinnspielereien zu verwandeln - ganz unabsichtlich versteht sich.
Helge Payer zum Beispiel sprach von der amerikanischen Fußballbegeisterung und erzählte, dass bei einem "Public Fewing" (Aussprache Payer) in Chicago gar 20.000 Menschen gewesen sein sollen. So "few" können es also gar nicht gewesen sein, beim Public Viewing.
Kommentator Michael Bacher, schaffte es, die deutschen Wurzeln des Amerikaners Jermaine Jones durch die unrichtige Aussprache dessen Vornamens zu verdeutlichen. In Bachers Mund wird nämlich "Jermaine" zum "German". German Jones also: der German unter den Jones. Alles klar!

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