Pfostenschlenzer?

Ein Pfostenschlenzer verbindet zwei wichtige Teilbereiche der Fußballerfahrung: die Ästhetik und die Dramaturgie. Denn ein Schlenzer erfordert technische Finesse, er hat etwas Überhebliches, Spitzbübisches. Man erwartet ihn auf Fußballplätzen in Vorstädten, Schulen oder in den Straßen Südamerikas. Dann aber, wenn er die große Bühne des Weltfußballs betritt, wird er zur Chuzpe. Wer in einem Bewerbsspiel einer solchen Größenordnung die Nerven behält, den Schlenzer richtig und gewinnbringend einzusetzen, der wird unsterblich. Wer in einem WM-Halbfinale etwas "fürs Auge" oder "für die Galerie" macht, ohne sich dabei zum Narren zu machen, erfasst den Fußball in seiner Eigentlichkeit. Panenka und Pirlo sind solche Kaliber. Aber natürlich auch Messi, Ibrahimovic und Konsorten. Die wahren Größen des Fußballs haben diese Momente, wo sie einen Schlenzer, ein Ferserl, einen eigentlich unnötigen Übersteiger machen und die ganze Welt staunen lassen.

Wenn dann ein solcher Schlenzer an den Pfosten geht, dann aktiviert das die Was-wäre-wenn-Maschine in den Köpfen der Zuseher. Denn ein Schuss an den Pfosten ist die Quelle allen Dramas. Näher kann man einem Torerfolg nicht kommen, und gleichzeitig ist man so weit weg wie man nur sein kann. Der Pfosten ist die Grenze zwischen Himmel und Hölle, zwischen Sein oder Nichtsein, und wer ihn trifft, blickt meistens gen Himmel bevor er sein Gesicht bedeckt. Der Pfosten markiert das Göttliche, Schicksalhafte auf dem Fußballplatz. Er ist damit der Torlinie nicht unähnlich, ist aber eindeutiger und hat keine Überwachung nötig. Er steht für sich. Wie ein Pfosten eben.

So fasst für mich das Wort "Pfostenschlenzer" alles zusammen, was über Fußball erzählt werden kann. Wer das Wort "Pfostenschlenzer" hört, der weiß, wovon die Rede ist. Es ist etwas Bittersüßes - wie das Spiel selbst.

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