Montag, 16. Juni 2014

Verschnaufpause

Ein Schiedsrichter als Held, das Deutsche an der Torlinientechnologie und ein fragwürdiges Argentinien machen den Tag trotz fehlender Knaller interessant.


So eine WM ist ganz schön anstrengend. Abgesehen davon, dass man gezwungen ist, teilweise bis spät in die Nacht hinein fragwürdige Begegnungen zu verfolgen bzw. diese nur zähneknirschend zu versäumen wagt, löst sich schon nach zweieinhalb Spieltagen die ganze Ordnung auf, die man sich vorher im Kopf gemacht hat: Nach drei Tagen weiß man schon nicht mehr, wer in welcher Gruppe spielt, welche Gruppe heute dran ist, geschweige denn wann jetzt welches Spiel stattfindet. Vor dem inneren Auge verschwimmen die Flaggen von Kolumbien, Ecuador und Costa Rica zu einer panamerikanischen Einheitsfahne, man glaubt plötzlich an jeder Ecke Sambatrommeln zu hören, und erst wenn man ORF einschaltet und die unterirdischen Bemühungen der dortigen Akteure sehen muss, die alle irgendwie modern und hip sein wollen, krallt man sich entnervt einen von den vierzehn Spielplänen, die in Fernsehernähe herumliegen, um sich wieder zu ordnen. Ein Tag, an dem in drei Spielen drei Außenseiter zu Werke gehen, eignet sich als Verschnaufpause, die man dringend braucht, vor allem nach diesen atemlosen ersten Stunden der Weltmeisterschaft, die jetzt schon in der Erinnerung zu einem Euphoriebrei zu verschmelzen drohen.

Noch immer umnebelt von der Klassepartie zwischen England und Italien und dem Ärgernis über das Versäumnis des Nachtspiels saß man dann gestern um 18 Uhr vor dem Fernseher, um sich den "Heuler" Schweiz gegen Ecuador anzusehen. Was man da zu sehen bekam war eine irgendwie rumpelnde Schweizer Nati, der wir Österreicher immer neidisch sein können, weil sie aus annähernd gleicher Ausgangsposition so viel mehr zusammengebracht haben als wir.
Dass diese Entwicklung nicht geschenkt ist und harte Arbeit braucht, um weiter vorangetrieben zu werden, und dass es dann auch mal natürliche Grenzen dieser Entwicklung gibt, könnte diese Weltmeisterschaft zeigen. Einen Vorgeschmack bekamen wir im ersten Spiel gegen Ecuador, in dem sich die Schweizer etwas schwerer als erwartet getan haben bzw. Ecuador eine bessere Figur gemacht hat als man ihnen zugetraut hatte.

SUI - ECU 2:1


So gingen die Südamerikaner frech in Führung, was die Schweiz dazu veranlasste, ein bisschen mehr zu rackern, auch wenn nicht immer alles recht zusammenlaufen wollte. Ottmar Hitzfeld brachte in Hälfte 2 Admir Mehmedi und der schoss gleich den Ausgleich. Man sah, dass Ecuador am Limit angelangt war, und sie blieben auch gefährlich. Ein Sieg wäre dann doch eine Überraschung gewesen und mit einem Unentschieden hätten sogar die Schweizer zufrieden sein müssen. Sie gaben sich aber nicht zufrieden und versuchten weiter Druck zu machen. In der Nachspielzeit passierte dann etwas Wunderbares: Behrami wurde im Mittelfeld bei einem letzten Versuch, einen schnellen Vorstoß einzuleiten, gefoult. Weil aber Behrami bereits wieder auf den Beinen war, bevor er überhaupt am Boden lag, entschied Schiedsrichter Rawschan Irmatov auf Vorteil und ließ das Spiel laufen. Behrami gab den Ball ab und drei Sekunden später zappelte der bereits im Netz: Haris Seferovic traf für die Schweizer zum 2:1 Endstand.

Bei aller Diskussion über Schiedsrichter-Fehlentscheidungen muss man hier den usbekischen Schiri loben, der die Situation blitzschnell erfasst und richtig bewertet hat. Die schweizer Schiedsrichter-Legende Urs Meier (Analyst für das deutsche Fernsehen) zeigte sich nach dem Spiel geradezu exaltiert: Auf die Vorteil-Entscheidung angesprochen sprach Meier von einer geradezu genialen Aktion, von einem "Vorteil wie Weihnachten und Ostern zusammen". Es ist selten, dass Schiedsrichter mit besonders guten Entscheidungen beeindrucken, aber Irmatov hat da gestern Tolles geleistet und ganz nebenbei der Schweiz den Sieg ermöglicht.

FRA - HON 3:0


Das Spiel Frankreich gegen Honduras stand unter keinem guten Stern. So nahmen die Spieler für die Nationalhymnen Aufstellung, warteten und auf einmal begannen die Honduraner, die französische Equipe für den Pre-Match-Handshake abzulaufen. Der ZDF-Kommentator meinte zunächst, es handle sich dabei um ein Missverständnis der Honduraner. "Die wissen wohl nicht über den Ablauf Bescheid!", dachte er sich als typischer Deutscher vermutlich. In Wahrheit aber war die Tonanlage des Stadions ausgefallen und das Match musste ohne Hymnen losgehen. Tragisch vor allem für die Franzosen, denn ohne Marsellaise geht da normalerweise gar nichts. Glücklicherweise hieß der Gegner Honduras und nicht etwa England!

Das Spiel war dann die erwartet ruppige Partie seitens der Honduraner. Schlimm, wenn man als Mannschaft, die sich berechtigte Hoffnungen auf die KO-Phase macht, ein Match gegen solche Rüpel nicht nur heil überstehen, sondern auch gewinnen muss. Frankreich aber meisterte diese Aufgabe mehr oder weniger gelassen. Und wir freuten uns über den ersten Einsatz der Torlinien-Technik, die ein Tor gab, das aus vier von fünf Kamerawinkeln nicht als solches zu erkennen war. Mehrmals wurde in der Folge darauf hingewiesen, dass diese Technik aus Deutschland stamme. Denn obwohl wir nun endlich diese Technologie haben, fangen jetzt wieder die ersten an zu behaupten, die Diskussionen würden trotzdem nicht ausbleiben, weil es immer noch welche gibt, die daheim vor dem Fernseher sitzen und zwischen zwei Bierrülpsern behaupten könnten "Für mich war der nicht drin!". War er aber! Weil die Technologie das gesagt hat. Und weil die aus Deutschland kommt! Käme sie nämlich aus Burundi oder Palau, dann würde man ernsthafte Zweifel anmelden können. So aber nicht! Deutsche Technologie ist unfehlbarer als der argentinische Papst!

ARG - BIH 2:1


Dann spätabends der von vielen herbeigesehnte erste Auftritt der Albiceleste. Das große, nominell so außergewöhnlich besetzte Argentinien, dem von vielen im Vorfeld als einzige aller Mannschaften zugetraut wurde, den sicheren Titel für Brasilien verhindern zu können. Am besten im Finale. Und am besten im Maracana. Aber Argentiniens Auftritt gegen WM-Neuling Bosnien war gestern alles andere als glamourös. Er war eher desaströs und peinlich, vor allem in der ersten Hälfte. Dass Argentiniens Teamchef Sabella seine Mannschaft mit fünf Defensiven auflaufen ließ, und so zum Beispiel Higuain und Gago auf der Bank ließ, war eigentlich nur als Scherz verstehbar. Solcherlei Scherze traute man vor vier Jahren nur Ex-Teamchef Diego Maradona zu. Aber gegen Bosnien mit 5 Mann hinten - bei dieser Offensivqualität?

Vielleicht war es deshalb, dass Messi vollkommen neben sich stand. Der Floh, der im argentinischen Nationaldress bei einer WM noch nie wirklich überzeugen konnte, steht auch diesmal unter enormen Druck. Weil das argentinische Spiel auf ihn ausgerichtet ist und so auch auseinanderfällt, wenn er die Leistung nicht erbringt. Das ist eigentlich ein Ansatz, der zum Scheitern verurteilt ist, vor allem, weil Argentinien es bei der Qualität seines Kaders nicht nötig hätte.
Messi lief gestern in Hälfte eins vielleicht sogar weniger als vorgestern Andrea Pirlo. Nur, dass Pirlo eben dafür da ist, die anderen laufen zu lassen. Die Argentinier kamen glücklich zu einem frühen Tor. In der zweiten Halbzeit vergab Messi zuerst einen Freistoß kläglich und machte dann wenige Minuten später das, wofür er bekannt ist. Und er feierte seien Treffer zum 2:0 wie er sonst selten ein Tor feiert. Es muss ihm eine Last von den Schultern gefallen sein! Wir können es nur hoffen, denn es wäre wirklich schade, wenn so ein Fußballer im Nationalteam unerfolgreich bleiben würde.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob ein Treffer gegen Bosnien die erhoffte erlösende Wirkung hat und Messi jetzt den Fluch, der auf ihn zu lasten scheint, wirklich abschütteln kann. Dass das Tor trotzdem wichtig war, bekam ich nur noch mit, als ich, bereits im Bett liegend, Jubelschreie aus dem nahegelegenen bosnischen Lokal hörte, das noch vor wenigen Tagen ein kroatisches Lokal war, aber eigentlich von Albanern geführt wird. Es ist ja doch irgendwie alles eins...
2:1 ist für argentinische Verhältnisse schwach, aber man ist mit 3 Punkten ins Turnier gestartet. Wenn man von den taktischen Blödsinnigkeiten was lernt und Messi sich wirklich noch steigert, dann wird man vielleicht an die hohen Erwartungen heranreichen. Momentan aber sehe ich Argentinien nicht im Finale.


Held des Tages:
Weil sonst immer die Scheidsrichter die Buhmänner sein müssen, steht hier jetzt stolz und zu Recht der Usbeke Rawschan Irmatov mit seinem "Vorteil wie Weihnachten und Ostern zusammen".

Buhmann des Tages:
Alejandro Sabella, der argentinische Trainer. Er hat mit seiner Startaufstellung das falsche Signal gesendet. An die Fans, an die Mannschaft, an die Bosnier, vor allem aber an Lionel Messi, der im riesigen Maracana-Stadion tatsächlich klein wie ein Floh wirkte.

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