Freitag, 20. Juni 2014

Offenbarungen

Manchmal ist Fußball zum Weinen schön: Wie Spielfreude und Einzeltäter den WM-Tag wohlig machten.


Hochinterressante Duelle bot der gestrige WM-Tag - natürlich mit Ausnahme des Nachtspiels Japan gegen Griechenland. Ich glaube, ich werde am Ende der WM kein Spiel von Japan gesehen haben und auch nicht traurig darüber sein. Über die anderen Spiele gestern war ich aber höchst erfreut, weil sie Abwechslungsreiches und gleichermaßen Unerwartetes boten. So kam es beim Duell Elfenbeinküste gegen Kolumbien zu einem Aufeinandertreffen frisch und unbeschwert aufspielender Mannschaften. Das unglückliche England steht hingegen vor dem Aus, weil die Urus unerwartet wiedererstarkt sind. Schuld daran trägt nur ein Mann...

ENG - URU 1:2


Wer hätte das gedacht, dass der zwischenzeitliche WM-König Luis Suarez heißen würde? Neymar war okay, Messi hat bis jetzt eher enttäuscht, C. Ronaldo war nicht zu sehen. Und dann kommt Suarez im zweiten Spiel der garstigen Urus, die letztens noch so uninspiriert zu Werke gingen, dass man sie am liebsten ohne zweites und drittes Spiel nach Hause geschickt hätte, und macht mit zwei Toren alles klar. Und was für Tore waren das! Suarez zeigte damit in seinem ersten Spiel, dass er nicht nur Lausbub, sondern eben auch ein Top-Stürmer ist; einer, der den Unterschied machen kann. Sympathisch wird er mir deswegen nicht, aber seine Leistung erkenn ich gerne an, zumal sie von einem inspirierter auftretenden Team Uruguay getragen wurde. Uruguay ist vielleicht auch eine Mannschaft, die an ihren Aufgaben wächst.

England wiederum tut mir Leid. Das erste schwere Spiel gegen Italien, in dem man sich so gut verkauft hatte, ließ für Spiel zwei größere Hoffnungen zu. Gerade wegen der schwachen Leistung Uruguays gegen Costa Rica. Aber so sehr man sich auch mühte, es ging nichts rein. Trotzdem wird man das Spiel nicht vergessen, weil Wayne Rooney seinen ersten WM-Treffer überhaupt erzielte. Und fast glaubte man, es sei nicht nur sein erster, sondern gleichzeitig auch ein immens wichtiger, einer, der England hoffen lassen könnte. Jetzt aber steht England nach zwei Spielen mit 0 Punkten da und kann aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommen. Ein Lichtblick: Bei der nächsten Euro wird mit England wieder zu rechnen sein. Und man spart sich erstmal das Elfmeterschießen...

COL - CIV 2:1


Auch das 18-Uhr-Spiel war eine Offenbarung. Kolumbien gegen Elfenbeinküste lautete das Duell, und dabei handelte es sich um zwei Mannschaften, die gern von Leuten gemocht werden, die was von Außenseitern halten. Das Stichwort lautet "unbeschwertes Spiel", denn ohne die Last von vielen Dekaden Fußball-Geschichte und der entsprechenden Erwartungshaltung von Fans und Volk spielt es sich für gewöhnlich leichter. Man hat nichts zu verlieren, aber eben auch nichts zu verschenken. So kommt es dann, dass Leute wie Cuadrado wie aufgezogen eine Sensations-Szene nach der anderen bieten. Da wird getrickst wie sonst nur in der Schülerliga oder auf der Spielkonsole. Es hilft natürlich auch, wenn man die Atmosphäre genießen kann, zum Beispiel wenn das ganze Stadion gelb ist und bei jedem Pass mitheult. So muss es auch gestern für die Chilenen gewesen sein, als nach dem letzten Ton der Nationalhymne das ganze Maracana-Stadion die zweite Strophe angestimmt hat. Für solche Momente lebt man als Fußballer - und das gilt vor allem für die "kleineren Nationen" mit Spielern, die vielleicht nicht jede Saison im Champions-League Halbfinale spielen.

Es hilft auch, wenn man, wie der Ivorer Serey Die, beim Abspielen der Nationalhymne zu weinen beginnt, weil man von der Situation überwältigt ist, sich dann extra reinhaut und eine Hammerpartie spielt. Oder wenn man, wie Gervinho, einfach wieder mal die ganze Verteidigung ausspielt, also ein Solo nach alter Schule macht, und dann auch noch trifft. Oder wenn man einen Ball in den Strafraum schlenzt, und damit nicht nur Abwehr sondern auch Mitspieler überrascht und dann der Fallrückzieher zu kurz kommt. Und manchmal hilft die alleinige Erscheinung des großen Drogbas eben auch nichts. Denn Kolumbien ist nicht Japan (was letztere spätestens in ihrem gestrigen Spiel gegen die Griechen bewiesen haben), und die Elfenbeinküste eben doch "nur" die zweitbeste afrikanische Mannschaft dieses Turniers, auch wenn sie momentan noch einen Sieg mehr haben als Ghana...


Held des Tages:
Nicht Suarez, dafür ist es noch zu früh. Er hat sich noch nicht rehabilitiert, obwohl das Trösten seines Liverpool-Teamkameraden Gerrard schon eine schöne Szene war.
Held hingegen war heute eindeutig Juan Cuadrado, der kaffeegedopte Mittelfeld-Wirbler von Kolumbien, der durch sein spektakuläres und unermüdliches Agieren nicht nur Mitspieler, sondern auch Fans verzückte.

Buhmann des Tages:
Wahrscheinlich irgendeiner aus dem Griechenland-Japan-Spiel. Für sonstige Buhmänner war gestern kein Platz!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen