Montag, 30. Juni 2014

Ein kurzes und ein langes Spiel

Costa Rica hat es geschafft. Holland auch - irgendwie.


Wie grausam Fußball sein kann, haben wir vorgestern gesehen. Wie schiach Fußball sein kann, mussten wir gestern sehen. Schiach heißt hässlich, kann aber auch mehr sein als die bloße Abwesenheit der Ästhetik. Es kann auch grausam sein, ekelhaft und niederträchtig. Es kann aber einfach nur ein bisschen unschön sein. Gestern wurde das Adjektiv "schiach" in all seinen Spiel- und Bedeutungsformen dekliniert. Außerdem haben wir gelernt, dass Fußball nicht unbedingt 90 Minuten dauern muss. Manchmal kann das Spiel auch sehr viel kürzer sein - und oft auch sehr viel länger...

NED - MEX 2:1


Schön langsam komm ich dahinter, wie man Holland-Spiele anschauen kann. Erst einmal sollte man sich die erste Hälfte sparen. Da passiert eigentlich nie was, denn die Holländer haben sich darauf geeinigt, dass 45 Minuten für ein Fußballspiel vollkommen ausreichend sind. Tatsächlich habe ich mich bis gestern noch nie gefragt, ob man tatsächlich 90 Minuten Fußball spielen muss, oder ob nicht auch 60 reichen würden - oder gar 45 Minuten? Nehmen wir an, dass in einem Spiel im Schnitt drei Tore fallen, dann ist das ein Tor alle 30 Minuten. Viele Fußballspiele lassen diese 30 Minuten sehr lang erscheinen. Das sind dann auch jene, in denen vielleicht gar nicht drei Tore fallen, sondern nur eines - oder gar keines. 90 Minuten sind also zu lang, und das hat Louis van Gaal erkannt. Also gab er in den letzten Spielen seiner Mannschaft die Anweisung, die erste Hälfte runterzuspielen, möglichst kein Tor zu bekommen, aber auch nicht unbedingt eines zu schießen.

Das machte in der Hitze gestern sogar durchaus Sinn. Dass es da in der niederländischen Verteidigung zu teils haarsträubenden Szenen kam, ist eine andere Geschichte. Eine, die letztlich auch mit der durchaus verdienten Führung der Mexikaner in Minute 48 ihr vorläufiges Ende nahm. Denn nun war zweite Halbzeit und nun hatte man auch was zu tun, war bereit, das Heft in die Hand zu nehmen. Dass es erst in der 88. Minute zum Ausgleich kam, lag vor allem an Mexikos Tormann Ochoa, der erneut eine sensationelle Partie spielte.
Wer das Spiel bis dahin gesehen hatte, wusste, dass Holland an einer Verlängerung nur wenig interessiert war. Schließlich sind ja 90 Minuten schon zu viel; was soll man dann erst mit 120 anfangen? Mexiko hingegen schlief ein, war müde. Man hatte sich aufweichen lassen.

Also passierte, was passieren musste: Robben ließ sich im Strafraum fallen und bekam sogar einen Elfmeter, den Huntelaar halbtrocken verwandelte. Ich sag nicht, dass es kein Foul war. Aber wenn Robben fällt, ist es mittlerweile schon völlig egal, ob es ein Foul war oder nicht. Es kommt nur darauf an, ob die Schiedsrichter dem Gefoulten Glauben schenken. Und das tun sie immer weniger. Robben darf sich nicht beklagen, wenn er tatsächlich gefoult wird und keinen Elfmeter mehr bekommt. Der gestern ging aber in Ordnung - hatte aber trotzdem einen schiachen Beigeschmack. Egal - Holland ist weiter und Mexikos Trainer Herrera ist leider nicht mehr zu sehen. Der wittert inzwischen natürlich eine Verschwörung.


CRC - GRE 1:1 (5:3 n. E.)


Apropos schiacher Beigeschmack. Einen solchen hatte auch das Achtelfinale der Außenseiter Costa Rica gegen Griechenland. Das war ein Duell zweier Mannschaften, die, was die Wahrnehmung der Fans anbelangt, nicht unterschiedlicher sein können. Auf der einen Seite die Ticos, der Überraschungsgruppensieger der nominell schweren Gruppe mit drei Ex-Weltmeistern, der sympathische Mittelamerika-Kleinstaat mit den aufgeweckten Kerls, die mäßigen Fußball spielen; den aber dafür mit Herz und Leidenschaft. Auf der anderen Seite der ewige Buhmann Griechenland, der es mit destruktivem Fußball immer wieder in WM-Endrunden schafft. Diesmal sind sie sogar mit einem negativen Torverhältnis aufgestiegen. Dass dies auch noch durch einen ungerechtfertigten Elfmeter passiert war, machte sie natürlich nicht sympathischer.

Doch Sympathie zählt wenig auf dem Platz, und so sah es schwarz aus für die Ticos, die sich gegen die gewohnt gut stehenden Griechen sehr schwer taten. Costa Rica ging trotzdem in Führung, und weil ein Tor gegen Griechenland fast doppelt zählt, witterte man schon Morgenluft. Als dann Costa Ricas Duarte eine Viertelstunde nach dem Führungstreffer wegen wiederholten Foulspiels vom Platz gestellt wurde, und die Griechen aufgrund des Rückstandes anfingen, offensiv aktiver zu werden, musste man sich ein bisschen fürchten. Fürchten, dass jetzt wieder alles ganz anders kommen würde, dass wieder irgendein Elfmeter in letzter Sekunde die Griechen in die Verlängerung retten würde. Schließlich hatte Costa Rica zuvor einen Handelfmeter nicht bekommen.

Der Ausgleich fiel natürlich in der Nachspielzeit und plötzlich schien alles für Griechenland zu sprechen. Sie hatten gute Chancen gehabt, entgegen ihrer eigentlichen Spielphilosophie endlich auch mal was für die Offensive getan, und: sie machten den fitteren Eindruck. Könnte Costa Rica dem Druck stand halten und zu zehnt die Verlängerung überstehen? Daran, dass die Ticos selbst ja noch das Entscheidungstor machen konnten, dachte irgendwie überhaupt niemand mehr. Tatsächlich hatten die Griechen die besseren Möglichkeiten, aber irgendetwas schien hinter der sich nur noch übers Feld schleppenden Außenseiter-Mannschaft aus Costa Rica zu stehen. Irgendein höheres Prinzip hatte beschlossen, dass sie so nicht ausscheiden würden.

Und so kam es wieder zum Elfmeterschießen. Und obwohl man Costa Rica nicht mehr zutraute, dass seine Spieler überhaupt noch den Anlauf schaffen würden, war dieses Shoot-Out das genaue Gegenteil des gestrigen zwischen Chile und Brasilien. Jeder Schuss saß - da muss man beiden Mannschaften zu ihrer Nervenstärke gratulieren. Auch der Elfmeter von Gekas hätte vielleicht gesessen, wenn ihn nicht der an diesem Abend glänzende Navas unglaublich pariert hätte. Sein Teamkollege Umana verwertete den entscheidenden Elfer souverän und die vielen Cosa Ricanischen Fans auf den Tribünen in Recife brachen allesamt in Tränen aus. Das kollektive Weinen als Ausdruck des "pura vida" - es steht dem unbändigen Jubeltänzen der Niederländer beim verwerteten Elfmeter Huntelaars gegenüber. Die Ticos sind von der Situation überwältigt, die Niederländer einfach nur froh, dass es doch noch geklappt hat. Im nächsten Spiel treffen sie aufeinander, und da zeigt sich dann, ob die reine Euphorie mehr bewegen kann als die Abgeklärtheit einer Mannschaft, die nur 45 Minuten Fußball zu spielen bereit ist.


Held des Tages:
Keylor Navas, der Torhüter Costa Ricas, der nicht nur einen Elfmeter, sondern auch gefühlte 3 Hundertprozentige gehalten hat. Wäre Mexiko weitergekommen, müsste hier auch Ochoa stehen. Und so ist es ein wenig verwunderlich, dass diese bis jetzt sehr torreiche WM trotzdem auch eine WM der Torhüter ist (s. Julio Cesar gestern).

Tragischer Held des Tages:
Noch einmal eine Würdigung des großartigen Miguel Herreras, dessen heißblütige Jubelorgien untrennbar mit dieser WM verbunden bleiben werden.

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