Dienstag, 10. Juni 2014

Die drei ???

Unter welchen unwahrscheinlichen Umständen ein Auftrittsverbot von André Rieu und DJ Ötzi erwirkt werden könnte. Und warum man ganz ohne Fragezeichen in der Gruppe B nicht auskommen wird.


Jede WM hat ihre "Todesgruppe", und auch wenn eine solche Bezeichnung immer ein wenig zu dramatisch anmutet: Die Gruppe B ist heuer diese Todesgruppe.
Ich habe gestern vermerkt, dass die Gruppe A nicht ohne die Gruppe B gedacht werden kann, da dort alle außer Brasilien zu schwach sind, um im Achtelfinale gegen Spanien bestehen zu können. In der Gruppe B verhält es sich spiegelverkehrt, denn obwohl mit Spanien und den Niederlanden die programmierten Fixaufsteiger bekannt zu sein scheinen, ist alles in Wahrheit etwas komplizierter.

Ja, Spanien und Niederlande waren die Finalisten der letzten WM. Aber wie bei allen Mannschaften hat sich seitdem sehr viel (oder gefährlich wenig) getan. Ja, Chile war das große Überraschungsteam der letzten WM: Nach einer vor allem taktisch fulminanten Vorrunde, scheiterten sie jedoch klar im Achtelfinale gegen Brasilien. Chile, das war aufregender Fußball, da stürmten teilweise gefühlte 16 Spieler auf das gegnerische Tor. Dennoch fehlten die Treffer. Das Torverhältnis nach der Vorrunde war 3:2, und gegen Brasilien setzte es ein 0:3.
Doch hinter Chile steht ein Fragezeichen, denn es fehlt der geniale Coach Bielsa und die Fitness von Juventus-Star Arturo Vidal ist schwer einzuschätzen. Der hat sich noch Anfang Mai einer Knieoperation unterziehen müssen. Trotzdem gilt: Um die Leistung Chiles dreht sich die ganze Gruppe B bzw. zumindest die Frage, wer Gruppenzweiter wird - und dann gegen Brasilien antreten darf.

Die Niederländer sind das nächste Fragezeichen. Mein Lieblingsteam zeigte vor vier Jahren eine weniger eindrucksvolle Leistung als bei der Euro 2008, kam aber mit Disziplin und dem starken Spiel in der richtigen Runde ins Finale. Dort verstolperte Arjen Robben in der 64. Minute den Weltmeisterpokal, was ich damals in Maastricht vor einer Freiluft-Bühne erleben musste, auf der noch einen Tag zuvor André Rieu mit DJ Ötzi zusammen aufgetreten war. Kein gutes Vorzeichen! Falls Holland heuer wieder ins Finale kommen sollte, bitte ich die Gemeinde Maastricht dieses Event abzusagen. Aber dahin ist der Weg weit...
Louis van Gaal hat übernommen. Das ist eigentlich kein schlechter Mann, aber ob er der Richtige für den Job ist, ist fraglich. Schließlich weiß er schon jetzt, dass seine Verpflichtung nach der WM beendet sein wird. Ihm folgt dann nämlich der große Guus Hiddink.
Ansonsten ist Team Niederlande ungefähr so wie immer, nur dass die üblichen Stars rund um Wesley Sneijder und Arjen Robben eben älter geworden sind. Jung und unerfahren ist hingegen die Defensiv-Abteilung, aber über die hat sich in Holland seit dem grimmigen Jaap Stam niemand so richtig Gedanken gemacht.
Der große Favorit sind sie diesmal nicht. Und es wird vor allem von der ersten Partie abhängen, wie sich die Niederlande in diese WM einspielen. Da geht es ausgerechnet gegen den Finalgegner von vor vier Jahren, und der ist amtierender Welt- und Europameister und heißt Spanien.

Die Furia Roja ist auch in die Jahre gekommen. Und auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, weil uns 6 Jahre Tiki-Taka genug sind - sie sind wieder einmal Mitfavorit! Eine schwere Gruppe in der Vorrunde hat bei den Spaniern höchstens den Effekt, dass sie im Achtelfinale noch selbstbewusster und gefährlicher auftreten, als sie es ohnehin schon tun würden. Für sie ist klar: Der Gruppensieg muss her, sonst kommt es zu einem verfrühten Treffen mit Brasilien, und das will man sich bitteschön für später aufheben. Mexiko, Kroatien oder Kamerun als Achtelfinalgegner klingt doch schon wesentlich attraktiver.
Trotzdem male ich auch hier ein zartes Fragezeichen mit Bleistift hinter die rot-gelben Iberer. Denn was ein inspiriertes Holland oder ein entfesseltes Chile vollbringen können, dem kann kein Kurzpass-Spiel etwas entgegensetzen. In Wahrheit hat schon die Eröffnungspartie gegen Holland Gruppenendspiel-Charakter. Sollte dieses Spiel nicht unentschieden ausgehen, darf man ruhig schon eine Tendenz erkennen.

Wer war noch? Achja, die sympathischen Socceroos aus Australien. Sie sind der Gruppendritte der Herzen, die Pechvögel von 2010, aber ganz klar der Außenseiter mit Aufstiegschancen, die sich nur bei einem Totalausfall der Holländer oder Chilenen zart von der Null in Richtung Eins bewegen. Und sollte der Fußballgott ein paar betrunkene Tage haben und sich einen Jux aus der Gruppe B machen wollen, selbst dann werden sie im Achtelfinale erbarmungslos den Brasilianern zum Fraß vorgeworfen. Macht aber alles nix, denn die Australier sind als bemühte Außenseiter immer schon sympathisch gewesen. Und je übermächtiger der Gegner, desto weniger kann man verlieren. Da kommt dann der Spaß nicht zu kurz, und so dürfte diese WM-Endrunde für die Underdogs aus Down Under zumindest ein denkwürdiges Erlebnis werden.

Wo ist jetzt das Spiegelverkehrte der Gruppe A? Also: In der Gruppe A haben wir einen klaren Favoriten und drei Fragezeichen. In der Gruppe B haben wir (nach menschlichem Ermessen) einen klaren Gruppenletzten und dann drei Teams, denen so ziemlich alles zuzutrauen ist. Denn auch wenn Spanien die besten Karten hat, ist es ja nicht gesagt, dass die WM 2014 nicht der Anfang vom spanischen Untergang sein könnte. Und vielleicht ist den Holländern gerade dann alles zuzutrauen, wenn ihnen eigentlich nichts zuzutrauen ist. Und Chile? Schließlich spielt man in Südamerika, und vielleicht ist Chile der unangenehmste Gegner aus der zweiten Reihe für Top-Teams wie Spanien und Holland. Wir werden sehen, wer die Todesgruppe überlebt. Ein Sieg wäre lohnend, denn als Zweiter wartet ja schon im Achtelfinale der Gastgeber.


Worauf wir uns freuen können:

Auf so ziemlich alles in dieser Gruppe: Das Auftaktspiel Spanien gegen Holland ist vielleicht ein zu programmierter Knaller, um wirklich gut zu werden; aber selbst schallgedämpft wird das eine absolut sehenswerte Begegnung. Chile wird den beiden sehr unangenehm werden, und gegen Australien gilt es, sich keine Blöße zu geben. Die Chilenen müssen im Grunde nur aufpassen, nicht gegen Australien zu verlieren, dann ist alles möglich. Mit drei Punkten aus dem ersten Spiel könnten sie bereits die Gruppenführung übernehmen und dann heißt es auch für Spanien und Holland Gas geben!


Was wir lieber nicht sehen wollen:

Ein Holland, das an die Vorstellung der letzten Euro anknüpft. Die Nation und der Sport als Ganzes haben sich ein besseres Fußball-Holland verdient als jenes Team, das seinen Anfang im grauslichen WM-Finale vor 4 Jahren genommen hat. Wir wollen auch eigentlich Nigel de Jong nicht mehr sehen (er ist aber dabei).
Wir wollen kein Tiki-Taka-Drübergefahre sehen. Das würde heißen, dass alle anderen Teams ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Zumindest hat der spanische Teamchef Vincente del Bosque mal irgendwas davon gesagt, dass man auch den Abschluss suchen müsse. Welch weise Worte!

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