Montag, 30. Juni 2014

Ein kurzes und ein langes Spiel

Costa Rica hat es geschafft. Holland auch - irgendwie.


Wie grausam Fußball sein kann, haben wir vorgestern gesehen. Wie schiach Fußball sein kann, mussten wir gestern sehen. Schiach heißt hässlich, kann aber auch mehr sein als die bloße Abwesenheit der Ästhetik. Es kann auch grausam sein, ekelhaft und niederträchtig. Es kann aber einfach nur ein bisschen unschön sein. Gestern wurde das Adjektiv "schiach" in all seinen Spiel- und Bedeutungsformen dekliniert. Außerdem haben wir gelernt, dass Fußball nicht unbedingt 90 Minuten dauern muss. Manchmal kann das Spiel auch sehr viel kürzer sein - und oft auch sehr viel länger...

NED - MEX 2:1


Schön langsam komm ich dahinter, wie man Holland-Spiele anschauen kann. Erst einmal sollte man sich die erste Hälfte sparen. Da passiert eigentlich nie was, denn die Holländer haben sich darauf geeinigt, dass 45 Minuten für ein Fußballspiel vollkommen ausreichend sind. Tatsächlich habe ich mich bis gestern noch nie gefragt, ob man tatsächlich 90 Minuten Fußball spielen muss, oder ob nicht auch 60 reichen würden - oder gar 45 Minuten? Nehmen wir an, dass in einem Spiel im Schnitt drei Tore fallen, dann ist das ein Tor alle 30 Minuten. Viele Fußballspiele lassen diese 30 Minuten sehr lang erscheinen. Das sind dann auch jene, in denen vielleicht gar nicht drei Tore fallen, sondern nur eines - oder gar keines. 90 Minuten sind also zu lang, und das hat Louis van Gaal erkannt. Also gab er in den letzten Spielen seiner Mannschaft die Anweisung, die erste Hälfte runterzuspielen, möglichst kein Tor zu bekommen, aber auch nicht unbedingt eines zu schießen.

Das machte in der Hitze gestern sogar durchaus Sinn. Dass es da in der niederländischen Verteidigung zu teils haarsträubenden Szenen kam, ist eine andere Geschichte. Eine, die letztlich auch mit der durchaus verdienten Führung der Mexikaner in Minute 48 ihr vorläufiges Ende nahm. Denn nun war zweite Halbzeit und nun hatte man auch was zu tun, war bereit, das Heft in die Hand zu nehmen. Dass es erst in der 88. Minute zum Ausgleich kam, lag vor allem an Mexikos Tormann Ochoa, der erneut eine sensationelle Partie spielte.
Wer das Spiel bis dahin gesehen hatte, wusste, dass Holland an einer Verlängerung nur wenig interessiert war. Schließlich sind ja 90 Minuten schon zu viel; was soll man dann erst mit 120 anfangen? Mexiko hingegen schlief ein, war müde. Man hatte sich aufweichen lassen.

Also passierte, was passieren musste: Robben ließ sich im Strafraum fallen und bekam sogar einen Elfmeter, den Huntelaar halbtrocken verwandelte. Ich sag nicht, dass es kein Foul war. Aber wenn Robben fällt, ist es mittlerweile schon völlig egal, ob es ein Foul war oder nicht. Es kommt nur darauf an, ob die Schiedsrichter dem Gefoulten Glauben schenken. Und das tun sie immer weniger. Robben darf sich nicht beklagen, wenn er tatsächlich gefoult wird und keinen Elfmeter mehr bekommt. Der gestern ging aber in Ordnung - hatte aber trotzdem einen schiachen Beigeschmack. Egal - Holland ist weiter und Mexikos Trainer Herrera ist leider nicht mehr zu sehen. Der wittert inzwischen natürlich eine Verschwörung.


CRC - GRE 1:1 (5:3 n. E.)


Apropos schiacher Beigeschmack. Einen solchen hatte auch das Achtelfinale der Außenseiter Costa Rica gegen Griechenland. Das war ein Duell zweier Mannschaften, die, was die Wahrnehmung der Fans anbelangt, nicht unterschiedlicher sein können. Auf der einen Seite die Ticos, der Überraschungsgruppensieger der nominell schweren Gruppe mit drei Ex-Weltmeistern, der sympathische Mittelamerika-Kleinstaat mit den aufgeweckten Kerls, die mäßigen Fußball spielen; den aber dafür mit Herz und Leidenschaft. Auf der anderen Seite der ewige Buhmann Griechenland, der es mit destruktivem Fußball immer wieder in WM-Endrunden schafft. Diesmal sind sie sogar mit einem negativen Torverhältnis aufgestiegen. Dass dies auch noch durch einen ungerechtfertigten Elfmeter passiert war, machte sie natürlich nicht sympathischer.

Doch Sympathie zählt wenig auf dem Platz, und so sah es schwarz aus für die Ticos, die sich gegen die gewohnt gut stehenden Griechen sehr schwer taten. Costa Rica ging trotzdem in Führung, und weil ein Tor gegen Griechenland fast doppelt zählt, witterte man schon Morgenluft. Als dann Costa Ricas Duarte eine Viertelstunde nach dem Führungstreffer wegen wiederholten Foulspiels vom Platz gestellt wurde, und die Griechen aufgrund des Rückstandes anfingen, offensiv aktiver zu werden, musste man sich ein bisschen fürchten. Fürchten, dass jetzt wieder alles ganz anders kommen würde, dass wieder irgendein Elfmeter in letzter Sekunde die Griechen in die Verlängerung retten würde. Schließlich hatte Costa Rica zuvor einen Handelfmeter nicht bekommen.

Der Ausgleich fiel natürlich in der Nachspielzeit und plötzlich schien alles für Griechenland zu sprechen. Sie hatten gute Chancen gehabt, entgegen ihrer eigentlichen Spielphilosophie endlich auch mal was für die Offensive getan, und: sie machten den fitteren Eindruck. Könnte Costa Rica dem Druck stand halten und zu zehnt die Verlängerung überstehen? Daran, dass die Ticos selbst ja noch das Entscheidungstor machen konnten, dachte irgendwie überhaupt niemand mehr. Tatsächlich hatten die Griechen die besseren Möglichkeiten, aber irgendetwas schien hinter der sich nur noch übers Feld schleppenden Außenseiter-Mannschaft aus Costa Rica zu stehen. Irgendein höheres Prinzip hatte beschlossen, dass sie so nicht ausscheiden würden.

Und so kam es wieder zum Elfmeterschießen. Und obwohl man Costa Rica nicht mehr zutraute, dass seine Spieler überhaupt noch den Anlauf schaffen würden, war dieses Shoot-Out das genaue Gegenteil des gestrigen zwischen Chile und Brasilien. Jeder Schuss saß - da muss man beiden Mannschaften zu ihrer Nervenstärke gratulieren. Auch der Elfmeter von Gekas hätte vielleicht gesessen, wenn ihn nicht der an diesem Abend glänzende Navas unglaublich pariert hätte. Sein Teamkollege Umana verwertete den entscheidenden Elfer souverän und die vielen Cosa Ricanischen Fans auf den Tribünen in Recife brachen allesamt in Tränen aus. Das kollektive Weinen als Ausdruck des "pura vida" - es steht dem unbändigen Jubeltänzen der Niederländer beim verwerteten Elfmeter Huntelaars gegenüber. Die Ticos sind von der Situation überwältigt, die Niederländer einfach nur froh, dass es doch noch geklappt hat. Im nächsten Spiel treffen sie aufeinander, und da zeigt sich dann, ob die reine Euphorie mehr bewegen kann als die Abgeklärtheit einer Mannschaft, die nur 45 Minuten Fußball zu spielen bereit ist.


Held des Tages:
Keylor Navas, der Torhüter Costa Ricas, der nicht nur einen Elfmeter, sondern auch gefühlte 3 Hundertprozentige gehalten hat. Wäre Mexiko weitergekommen, müsste hier auch Ochoa stehen. Und so ist es ein wenig verwunderlich, dass diese bis jetzt sehr torreiche WM trotzdem auch eine WM der Torhüter ist (s. Julio Cesar gestern).

Tragischer Held des Tages:
Noch einmal eine Würdigung des großartigen Miguel Herreras, dessen heißblütige Jubelorgien untrennbar mit dieser WM verbunden bleiben werden.

Sonntag, 29. Juni 2014

Ein neuer Held - und ein tragischer

Auch die KO-Phase beginnt furios: Mit einem Fast-Ausscheiden des Gastgebers im Elfmeterschießen und dem Tor des Turniers von einem, der das Zeug hat, der große Held des Turniers zu werden..

 

BRA - CHI 1:1 (3:2 i. E.)


Ein seltsamer Tag für Mauricio Pinilla war das gestern. 87 Minuten lang verfolgte er das Spiel von der Ersatzbank aus, kam dann für Vidal und wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass er wohl noch ein bisschen länger als 5 Minuten am Feld stehen würde. Da stand es 1:1 und beide Mannschaften wirkten, als wären sie mit dem Kopf schon in der Verlängerung. Dass er aber eine Minute vor Schluss Chile fast ins Viertelfinale schießen würde, hätte er wohl selbst nicht gedacht. Noch weniger, dass er dann nur wenige Minuten später den ersten Elfmeter für sein Team verschießen würde. Aber der Reihe nach...
In der Verlängerung tat Brasilien eigentlich mehr fürs Spiel, man wollte natürlich kein Elferschießen riskieren. Alles, nur das nicht! Nicht den kleinen Vorteil, den man vor der Partie auf dem Papier hatte, mit einem Unentschieden nach 120 Minuten dem Zufall schenken! Denn Brasiliens Torhüter Julio Cesar hatte Recht, als er nach dem Spiel meinte, dass es ein "sehr kompliziertes" Match gewesen war.

Kompliziert wird für Brasilien jetzt jedes Spiel werden, denn wie groß der Druck tatsächlich ist, davon bekam man erst gestern Abend eine wirkliche Ahnung, als es dann soweit war und die Kapitäne der beiden Mannschaften sich zum Münzwurf vor dem Elfmeterschießen im Mittelkreis einfanden. Die Münze verdeutlichte allen Zusehern die Tragweite des Moments: Brasilien steht kurz davor, bei der Heim-WM bereits im Achtelfinale auszuscheiden - und das im Elfmeterschießen, der zufälligsten aller Fußballgrausamkeiten.
Die Grausamkeit musste Pinilla in aller Härte erfahren, als er, der noch Minuten zuvor Aluminium getroffen und so seinem Team fast den Aufstieg geschenkt hatte, seinen Schuss nicht an Keeper Julio Cesar vorbei bekam. Vermutlich wollte er den Ball dieses Mal vom Pfosten fernhalten und vergaß dabei auf den Weltklassetorwart vor ihm. Nur wenig wird ihn trösten, dass er nicht der einzige war, der für Chile verschossen hat. Auch den Schuss von Alexis Sanchez konnte Cesar parieren, nachdem Brasiliens Willian (der Willi mit dem N) jämmerlich am Tor vorbeigeschossen hatte.

Solche Elfmeterschießen haben es in sich, wo mehr Schüsse vergeben als verwandelt werden. Sie sind meist der extrem hohen Anspannung geschuldet und heizen die Dramatik an, weil sie das normale Kräfteverhältnis zugunsten des Tormanns verschieben, und das Tor plötzlich kleiner wird, während die Tormänner ins Riesenhafte wachsen. Den Ball von 11 Metern Entfernung in ein 7,32 mal 2,44 Meter großes Tor zu schießen, wird zu einer Mammutaufgabe. Gemeistert haben diese gestern nur David Luiz, Marcelo, Aranguiz, Diaz und Neymar. Am Ende schoss Gonzalo Jara an den Pfosten - der zweite Chilene, der gestern sicher nicht gut geschlafen hat.
Aus der chilenische Traum, auch diesmal scheitert man an Brasilien, und auch wenn es diesmal mehr weh tut als noch vor vier Jahren, müssen wir doch irgendwie froh sein, die Gastgeber nicht jetzt schon verloren zu haben.

COL-URU 2:0



Während wir uns fragen, ob sich für eine Mannschaft überhaupt eine Turnierform feststellen lässt, oder ob einfach jedes Spiel eine völlig neue Ausgangssituation schafft (Brasilien lässt so etwas vermuten), hat sich in den Hinterzimmern dieser Fußball-WM ein neuer Held ins Rampenlicht gespielt. Dieser heißt James Rodriguez und hat bis jetzt bei jedem Spiel getroffen. Gestern gegen die zu Recht ausgeschiedenen Urus sogar zwei Mal. Sein erstes wird wohl das schönste Tor der WM gewesen sein, und das zweite fixierte für die erneut so freudvoll aufspielenden Cafeteros nicht nur den Aufstieg ins Viertelfinale, sondern hob Rodriguez auch an die Spitze der Torschützenliste, wo er momentan allein thront. Er, dessen Marktwert sich nach den letzten Spielen um ein Vielfaches erhöht haben wird. Er, der zusammen mit seinem Teamkollegen Cuadrado für das neue Kolumbien steht, für eine Mannschaft, die sogar die glorreichen Zeiten von Carlos Valderrama vergessen lässt, weil hier Zusehen einfach Spaß macht.
Dass die neuen südamerikanischen Stars die ausgediente Gammel-Mannschaft Uruguays aus dem Turnier geworfen hat, lässt uns zufrieden zurück.

Wenn nun heute abend die anderen Jungstars die andere Gammel-Mannschaft auch noch heimschicken würde, wäre ja wieder alles in Ordnung. (Damit meine ich übrigens nicht Mexiko und die Niederlande..)

Das erste Viertelfinale hießt Brasilien gegen Kolumbien und wenn alles, was wir bis jetzt von beiden Mannschaften gesehen haben, nicht ein vollkommen falsches Bild malt, wird das ein richtiger Kracher! Und das Duell heißt auch: Neymar gegen Rodriguez!


Held des Tages:
James Rodriguez - ein Name wie aus einem Drogenfilm. Er ist jetzt schon der Held dieser WM, weil ihn (und auch seine Mannschaft) vorher niemand auf der Rechnung gehabt hat. Neymar hin, Neymar her.

Tragische Figur des Tages:
Buhmänner sollte es ab der KO-Phase ja keine mehr geben. Dafür gibt es mehr tragische Figuren. Die erste dieser Art ist Mauricio Pinilla, dessen Lattentreffer kurz vor Schluss für ihn und Chile schmerzhaft ist; der uns aber vor einem vorzeitigen Brasilien-Aus bewahrt hat. Man sagt ja immer, dass es dem Turnier nicht gut tut, wenn der Gastgeber zu früh ausscheidet (vor allem, wenn er Mitfavorit ist).
Danke Chile, einmal mehr! Aber dein Ausscheiden ist diesmal zu verschmerzen, weil es jetzt dieses Kolumbien gibt, das die exotischen Sehnsüchte mitteleuropäischer Fußballfans nährt.

Freitag, 27. Juni 2014

Warten auf ein Wunder

 Wie eine Katze im Regen, so saß Jogi auf der Trainerbank in Recife. Die Vorrunde ist vorbei, und während Deutschland schon Weltmeister ist, warten wir noch auf das belgische Wunder.


Wurschtigkeit ist das Gefühl, das am besten mein Verhältnis zur Gruppe H beschreibt. Da gab es Belgien, der extrem geheime Geheimfavorit, der sich in der schwachen Gruppe nicht angepatzt hat und mit dem Punktemaximum im Achtelfinale steht. Mit Ruhm haben sie sich auch nicht bekleckert, aber Ruhm ist in Spielen gegen Kapazunder wie Russland, Algerien und Südkorea auch nicht zu holen.
Algerien hat sich den Aufstieg verdient, weil sie gegen Belgien besser dagegen gehalten haben als gedacht und über Südkorea drübergefahren sind. Dass Russland gestern an ihnen gescheitert ist, verbuche ich als eine Form von Gerechtigkeit, die die Grenzen des Fußballs übersteigt. Sollen jene gegen Deutschland ausscheiden, die noch nie in einem Achtelfinale waren - eine von zwei übrigen afrikanischen Mannschaften und die einzige verbleibende arabische. Viel Unterschied wird es ja nicht machen...

Das Spiel Deutschland gegen USA war die erwartet laue Partie. Erhofft hätten wir uns freilich ein frisch aufspielendes Team USA, das Deutschland nicht nur verunsichern, sondern sogar besiegen könnte. Das wäre vielleicht unter anderen Bedingungen möglich gewesen: Beiden reichte ja ein Unentschieden, und der Aufstieg der USA wäre nur bei einem Sieg Ghanas gegen Portugal mit zwei Toren Unterschied gefährdet gewesen. So, oder so ähnlich halt. Ist ja jetzt auch egal.
Ein Sieg der Amerikaner wäre unter einem anderen Gesichtspunkt schön gewesen: Die Begeisterung für "Soccer" war wohl noch nie so groß wie gerade jetzt - vielleicht mit Ausnahme der Heim-WM von 1994, obwohl die ja das Ganze erst vorbereitet hat. Ich merke das nicht nur an den Medienberichten, sondern auch an der Begeisterung meiner amerikanischen Verwandten, für die das sonst als öde geltende Soccer plötzlich ein ganz großes Ding ist. Die momentane Begeisterung für Soccer lässt sich annähernd mit der durchschnittlichen Begeisterung für College-Football vergleichen - und das ist viel. Sehr viel sogar!

Und es ist der Verdienst von Jürgen Klinsmann, der sogar so weit ging, ein (nicht ganz ernst gemeintes) Entschuldigungsschreiben für alle Angestellten aufzusetzen, die in ihrer Mittagspause das Fußballspiel anschauen sollten. Klinsmann macht in den USA jetzt das, was er 2006 in Deutschland gemacht hat: Er begeistert die Massen für den Fußball. Nicht, dass man sich in Deutschland nicht schon vorher für die Nationalmannschaft begeistert hätte - aber Klinsmann gab dem ganzen im Rahmen der Heim-WM einen neuen Dreh. Fußball sollte Emotion sein, er sollte spielerisch begeistern und nicht nur die richtigen Ergebnisse liefern. 2006 war das Jahr, in dem die deutschen Fußballer anfingen, sogar den Österreichern sympathisch zu werden. Klinsmann und Löw (damals noch Co-Trainer) an der Seitenlinie im hellblauen Hemd, die Ärmel lässig hochgekrempelt. Der eine Motivator, der andere System-Erdenker - so hat man es in Erinnerung. Dass daraus nicht nur ein attraktives deutsches Spiel entwachsen ist, sondern auch der ganze Schland-Wahnsinn, dafür kann der Klinsi nix.

Der macht sich nun daran, den Soccer in den USA zu revolutionieren. Deshalb war das Spiel gegen Deutschland so wichtig. Nicht, weil es für den Aufstieg ins Achtelfinale so wichtig war, sondern weil ein Sieg gegen eine große Fußballnation, gegen einen dreimaligen Weltmeister und momentanen Mitfavoriten den Amerikanern das Gefühl gegeben hätte, das sie immer brauchen: nämlich unbesiegbar zu sein. Egal, ob dieses Gefühl dann gerechtfertigt gewesen wäre, oder nicht. Der Fußball selbst jedenfalls kann von einer Begeisterung in den USA nur profitieren.

Ein bisschen bitterer Beigeschmack bleibt aber doch, schließlich sind die Gräben zwischen US-Sport und dem guten, alten Fußball doch noch auszumachen. Das Konzept nämlich, dass man trotz einer Niederlage weiterkommt, ist im US-Sport wenn nicht unbekannt, so doch zumindest suspekt. Noch suspekter ist den Amerikanern allerdings das Konzept eines Unentschiedens, eines Null-zu-nulls gar; insofern können wir froh sein, dass es gestern nicht dazu gekommen ist. "What? They didn't score no goal and still they're through? That's insane!", höre ich den Soccer-Neuling empört rufen.
Umso großartiger aber gestern die amerikanischen Fans im Stadion von Recife: Jeder Zweikampf wurde frenetisch bejubelt, jeder Pass beklatscht, jeder Ballverlust mit einem "Oooh" betrauert. Man spürt, da geht was im Land der bisher begrenzten Soccer-Möglichkeiten!


Im Achtelfinale dürfen die Amis jetzt gegen Belgien ran, den - ich sage es jetzt zum x-ten Mal - überaus geheimen Geheimfavoriten. Für die Belgier werden die USA ein erster richtiger Test. An einem guten Tag kann man aus einer Partie gegen einen fußballerischen Emorkömmling durchaus Momentum für das Viertelfinale mitnehmen, um den Geheimfavoritenstatus endlich gerecht werden zu können. An einem schlechten Tag ist es vorbei mit dem Geheimnis, da ruft die Nation, die gerade erst den Fußball lieben gelernt hat, "aber der Kaiser ist doch nackt!", und in ein paar Jahren werden wir uns daran erinnern, dass wir Belgien vor der WM so viel zugetraut haben, und sie dann in einer Pemperl-Gruppe den Sieg davongetragen haben, nur um dann im Achtelfinale gegen Klinsmanns One-Nation-one-Team-Armee zu verlieren. Das belgische Fußballwunder - es steckt momentan (noch) in den Kinderschuhen!

Deutschland macht weiter wie bisher: Siege einfahren, aber nicht überzeugen. Recht haben sie - muss man auch nicht, denn selbst wenn man das Finale gewinnt und nicht überzeugt hat, ist man trotzdem Weltmeister. Wenn aber alles nach Plan läuft, trifft Deutschland im Viertelfinale auf Frankreich, und gegen die wird das Nicht-Überzeugen nicht reichen. Da hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder man überzeugt endlich (mit dem Bayern-Mittelfeld Lahm-Schweinsteiger-Kroos ist man zumindest in dieser Abteilung auf dem besten Weg dazu), oder man beruft sich auf das Glück, das einer Fußball-Großmacht bei so einem Turnier zusteht.
Ich hätte Deutschland gerne gegen Belgien gesehen, das wäre ein wirklich interessantes Spiel geworden! Möglich ist das nun erst im Finale, und deswegen recht unwahrscheinlich. Aber darüber reden wir, falls sich das belgische Wunder anfängt, tatsächlich zu ereignen...


Held des Tages:
Islam Slimani, der Held Algeriens. Sein Treffer bescherte den Aufstieg. Wir werden ihn bald vergessen haben, er aber wird zum algerischen Hans Krankl werden. Alles Gute dafür - und Beileid.

Buhmann des Tages:
Der Regen in Recife, der gar die Austragung des Spiels USA gegen Deutschland gefährdet haben soll. So macht Soccer keinen Spaß!


ORF-Anmerkung:
Weil Bela Rethy ja eigentlich auch ein Zustand ist, und man Deutschland-Spiele sowieso nicht im deutschen Fernsehen anschauen kann, habe ich gestern wieder dem ORF gefrönt. Es ist beachtlich, wie man es schafft, Aussprachefehler in witzige Sinnspielereien zu verwandeln - ganz unabsichtlich versteht sich.
Helge Payer zum Beispiel sprach von der amerikanischen Fußballbegeisterung und erzählte, dass bei einem "Public Fewing" (Aussprache Payer) in Chicago gar 20.000 Menschen gewesen sein sollen. So "few" können es also gar nicht gewesen sein, beim Public Viewing.
Kommentator Michael Bacher, schaffte es, die deutschen Wurzeln des Amerikaners Jermaine Jones durch die unrichtige Aussprache dessen Vornamens zu verdeutlichen. In Bachers Mund wird nämlich "Jermaine" zum "German". German Jones also: der German unter den Jones. Alles klar!

Donnerstag, 26. Juni 2014

Letzte Runde

Die Vorrunde neigt sich dem Ende zu. Die noch ausstehenden Entscheidungen sind unter "Eh schon wurscht" zu verbuchen. Da lohnt ein Blick auf die schon feststehenden Achtelfinalpartien!


Das Spiel Argentinien gegen Nigeria habe ich nur zur Hälfte gesehen. Also ich habe in Summe vielleicht 10 Minuten versäumt. Allerdings handelte es sich jeweils um die Anfangsphasen der Halbzeiten. Also habe ich von insgesamt fünf Toren nur eines gesehen. Das war das Freistoßtor von Messi kurz vor der Halbzeit. Großartig hineingezirkelt war das. Vor allem, weil nur wenige Minuten davor Messi den genau gleichen Freistoß geschossen hat, den Enyeama noch sensationell halten konnte. Beim zweiten mal war es eben dann ein Tor. Und fast hätte ich das auch nicht gesehen, weil ich dazu neige, mir Nachspielzeiten in der ersten Halbzeit zu sparen. Seit den letzten Spielen dieser WM bin ich da ein bisschen vorsichtiger geworden und werde es in Zukunft weiterhin sein! Aber auch was die Beginnzeiten betrifft, muss ich besser aufpassen. Das "Abtasten" funktioniert in Brasilien ein bisschen anders: Da schießt man erstmal ein Tor und schaut dann weiter. Und während man noch schaut, bekommt man auch schon wieder eines. Gut, ein 1:1 ist ungefähr ein 0:0, also passt das schon. Nichts versäumt, außer halt die Tore.


Argentinien scheint erwacht zu sein. Zumindest traute man sich zu, auch ein Weilchen ohne Lionel Messi zu spielen. Der Floh ist in eigenartiger Verfassung. Er hat bis jetzt kein besonders gutes Turnier gespielt, seine Mannschaft hält aber trotzdem bei drei Siegen und er selbst hat vier Tore in drei Spielen erzielt. Also rein von den Zahlen her gibt's nichts zu meckern. Hat er also doch ein gutes Turnier gespielt? Habe ich es nach der ersten Runde noch für vollkommen unmöglich gehalten, Argentinien im Finale zu sehen, kann jetzt schon wieder alles passieren.
Zu meckern gibt es auch nichts bei der Schweiz, die mit einem souveränen 3:0-Sieg gegen den Gruppenaußenseiter Honduras ins Achtelfinale eingezogen ist. Und Nigeria hat es trotz knapper Niederlage auch geschafft. Läuft ja alles wunderbar, und während wir die Gruppenphase langsam aber sicher hinter uns lassen und uns mit Wohlwollen an sie erinnern, wissen wir schon über die ersten Achtelfinalpartien Bescheid...


Da treffen zum Beispiel Costa Rica und Griechenland aufeinander. Hand hoch, wer darauf gewettet hat, dass es eines der beiden Teams ins Viertelfinale schafft! Ich wünsche jedenfalls Costa Rica alles Gute; sollte kein Turnier-Bammel einsetzen, müsste es gegen die Griechen klappen. Kann auch ein mühsames Unentschieden mit Elfmeterschießen werden, ich wünsche es uns aber nicht! Nicht wegen des Elferschießens, sondern wegen der 120 Minuten davor.

Argentinien trifft auf die Schweiz, das wird für beide Teams schwierig. Da aber Argentinien momentan im Aufwind und die Schweiz an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen ist, wage ich keine andere Prognose als den relativ sicheren Sieg der Albiceleste. Messi schlurft 90 Minuten herum, macht aber trotzdem irgendwie drei Tore und wird wieder Man of the Match.

Die Niederlande ist die Mannschaft mit den bisher meisten erzielten Toren in diesem Turnier. Es könnte sein, dass sich dieser Trend fortsetzt, doch im Achtelfinale wartet ein harter Brocken: Mexiko. Allein das Duell der Coaches, van Gaal gegen Herrera, ist sein Geld wert. Ich hätte gerne eine Kamera, die das ganze Spiel nur die Trainerbänke filmt und die Reaktionen der beiden einfängt. (Ein Spiel in strömendem Regen würde noch für zusätzliche Dramatik sorgen.) Es gibt für dieses Spiel drei wahrscheinliche Varianten: Holland gewinnt knapp und glücklich, Holland gewinnt überzeugend und überraschend deutlich, oder Holland scheidet im Elfmeterschießen aus, weil der großartige mexikanische Tormann Ochoa seinem Heldenstatus gerecht wird. Zuckerl für den, der weiterkommt: Es wartet der Sieger aus Griechenland gg. Costa Rica!

Die Mannschaft mit den zweitmeisten Toren ist ... - na? Richtig: Kolumbien! Die dürfen im Achtelfinale gegen die bösen Urus ran. Ein hervorragendes Duell schon allein deshalb, weil hier ein Geheimfavorit der Herzen auf die große Buhmannschaft trifft - so verhält es sich zumindest in meiner Welt. Habe ich bisher Kolumbien wohlwollend verfolgt, so werde ich (nur für dieses eine Spiel) zum glühenden Verehrer der Cafetieros. Schon allein deswegen, weil Kolumbien jetzt die Mannschaft ist, zu deren Nationalhymne ich meinen tiefen Schluck Espresso trinken werde. So wie ich es bis jetzt - ich gestehe - bei den Italienern gemacht habe und nun nicht mehr tun kann.

Was sehe ich da noch? Brasilien gegen Chile! Das hatten wir ja vor vier Jahren schon mal. Da siegte Brasilien klar mit 3:0. Chile galt vielen damals als die Entdeckung des Turniers, und sie haben es wirklich geschafft, diesen Nimbus in dieses Turnier herüber zu retten. Ob es diesmal besser ausgeht für die Chilenen? Ich wage es zu bezweifeln, aber auf ein erneutes 3:0 würde ich nicht wetten wollen, denn wer gegen Kamerun ein Tor kassiert, der kassiert gegen Chile mindestens zwei!

Frankreich gegen Nigeria heißt eine weitere Achtelfinalpaarung, die bereits fest steht. Eigentlich spricht nichts gegen ein Weiterkommen der Franzosen, dafür war ihr Auftreten bisher zu souverän. Aber ja, auch Nigeria hat sich gebessert; ein Sieg gegen Frankreich wäre trotzdem eine Überraschung. Noch einmal der nigerianische Tormann Enyeama, noch einmal sein hysterisches Gekreische bei jedem gegenerischen Angriff!


Fürwahr: eine sehr südamerikanische WM ist das geworden. Das obere Viertel des Playoff-Baums ist gar nur mit südamerikanischen Mannschaften besetzt. Das heißt, dass mindestens eine davon im Halbfinale steht. Das heißt aber auch, dass drei davon vorher ausscheiden. Also eigentlich heißt das recht wenig. Wer geht uns überhaupt ab? Freilich, die Italiener hätten wir schon gebraucht, und die Engländer hätten sich zumindest das Achtelfinale und ein Ausscheiden im Elferschießen verdient gehabt. Portugal ist unglücklich ausgeschieden und auch sie gehen uns ab, weil es eine absolut KO-taugliche Mannschaft ist. Spanien, der amtierende Weltmeister, hätte es sich rein vom Papier her verdient, glorreicher auszuscheiden.

Aber weinen wir nicht jenen nach, die uns kein Fußballgott mehr zurückbringen kann. Erfreuen wir uns an wiedererstarkten Franzosen, den Immer-noch-Geheimfavoriten Belgien und den Überraschungsmannschaften aus Kolumbien und Costa Rica, die da auch ein bisschen mitmischen wollen. Und was wir uns von den USA erwarten dürfen, wissen wir spätestens nach dem heutigen Spiel gegen Deutschland!

Mittwoch, 25. Juni 2014

Fleisch und Knochen

Da ist ja wirklich alles dabe, bei dieser WM. Aber wie viel kann der Zuschauer überhaupt ertragen? Langsam wird's wahnsinnig...


Ich habe gegen Anfang dieser WM geschrieben, dass wir bald wissen werden, wer die Helden und Schurken dieses Turniers sein werden. Die letzten beiden Tage haben uns diesbezüglich einen sehr deutlichen Hinweis gegeben. Auch wenn wir dazu neigen, im Sinne einer dramatischen Inszenierung gerne Schwarz-weiß-Malerei zu betreiben: Ganz astreine Helden und Schurken produziert dieses Großereignis natürlich nicht. Und nach einer bisher atemberaubenden Vorrunde droht die WM ein allzu vorhersehbares Ende zu nehmen...


BRA - CAM 4:1


Das war also die große Neymar-Show. Und wie beeindruckend sie war! Nicht nur, dass der Manga-Neymar zwei Tore geschossen hat und jetzt wieder die Torschützenliste anführt. Nein, er hat auch deutlich gezeigt, dass ohne ihn bei Brasilien recht wenig geht. Der Stoff, aus dem Helden sind: Einer nimmt sich der Sache an, hat Mut und reißt die anderen mit. Tatsächlich hat Neymar gewirkt als wäre die WM für ihn eine einzige unbeschwerte Party. Er war gut drauf, ließ sich zu Scherzen hinreißen, posierte in der Halbzeitpause für Fotos auf dem Weg in die Kabine... Neymar, das WM-Maskottchen. Etwas besseres kann dem Turnier, vor allem aus brasilianischer Sicht, nicht passieren.

Und trotzdem bleibt ein fahler Beigeschmack. Irgendwie ist Neymar zu wenig "Fleisch und Knochen", wie Oli Kahn es in Bezug auf etwas ganz anderes formuliert hat (s.u.). Er ist tatsächlich ein Maskottchen, er sieht nicht nur so aus. Klar, er macht seine Tore. Aber die Abhängigkeit der Brasilianer (sowohl auf dem Platz als auch emotional) ist gefährlich. Siehe Argentinien, das ohne Messi überhaupt nicht funktioniert. Auch Messi hat bis jetzt "geliefert", ohne dass er gut gespielt hätte. Rein von den Ergebnissen her kann man weder Neymar noch Messi irgendeinen Vorwurf machen. Allein, es kommt mir alles zu wenig vor. Wenn aber Brasilien so weitermacht, dann werden sie Weltmeister, getragen von einer Welle der Begeisterung, wie nur Neymar sie auszulösen vermag. Und sonst werden sie halt Weltmeister der Herzen...


NED - CHI 2:0


Apropos Weltmeister der Herzen. Das ist Holland ja seit dem letzten WM-Finale nicht mehr. Und immer noch fällt dem ORF-Kommentator (ich glaube, es war Oliver Polzer - oder Boris Kastner-Jirka, ich kann die beiden Mickymaus-Stimmen eh nie auseinander halten) zu Nigel de Jong nichts anderes ein als irgendwas mit "Kung-Fu"-Attacke etc. Weil das ewige Herumreiten auf vorgefertigen Schemata nervt (de Jong ein übler Treter, Robben hat nur Einser-Schmäh etc.), schalte ich auf ZDF um und bin erleichtert, als keine zwei Minuten später der dortige Kommentator de Jongs Stellungsspiel und Übersicht lobt. Dass ein Sechser oft ein Raubein ist, ist geschenkt. Dass de Jong nicht immer die angenehmsten Fouls begeht, auch. Aber wenn einem zu diesem Spieler nicht mehr einfällt, dann bedient man Gemeinplätze und spielt Kronenzeitung.

Ansonsten haben die Niederländer wieder gezeigt, dass sie auch mit einem destruktiven Ansatz so gewinnen können, dass es aussieht, als hätten sie das Spiel tatsächlich dominiert. Eine Lehrstunde für alle zukünftigen Gegner von Chile war das allemal. Und Holland schlingert bei diesem Turnier irgendwo zwischen 2008 und 2010 umher, mit leichten 2012-Phasen. Soll heißen: Ein aufregendes, offensivbetontes Spiel nach vorne wechselt sich mit einem vorsichtigem, abwartendem Defensiv- und Kontergeplänkel ab, und dann und wann gibt es Phasen, in denen weder vorne noch hinten irgendwas zusammenläuft. Insofern ist Holland schwer einzuschätzen, obwohl sie bis jetzt die einzige Mannschaft mit drei Siegen ist. Vom Finale bis zum Ausscheiden im Achtelfinale ist jetzt alles drin!


ITA - URU 0:1


Ich habe weiter oben geschrieben, dass nun alles danach aussieht, dass diese WM ein allzu vorhersehbares Ende nimmt. Das Ausscheiden Italiens ist ein erstes Anzeichen dafür, denn tatsächlich scheint sich der prognostizierte Südamerika-Vorteil bemerkbar zu machen. Uruguay hat nach einem total versemmelten ersten Spiel und einem furiosen zweiten nun die Aufgabe gehabt, die italienische Abwehr zu knacken. Denn Italien hätte zum Weiterkommen nur ein Unentschieden benötigt, und schnell war klar, dass genau das ihr Ziel war: das 0:0 zu halten. Das war mir ein bisschen zu viel Italien, wie es früher einmal gewesen ist. Auch hier zu wenig "Fleisch und Knochen", mehr bröseliges Gerippe. Uruguay tat sich trotzdem schwer, bekam aber ein Geschenk vom Schiedsrichter, der Marchisio nach einem normalen Gelb-Foul mit der roten Karte bediente. Urs Meier und Oli Kahn in der Analyse der Situation: Nicht rot-würdig, weil nicht zur bisherigen Linie des Turniers passend, der Wichtigkeit des Spiels nicht angemessen, und überhaupt das Foul hatte "zu wenig Fleisch und Knochen" (Kahn).

Egal, Italien zu zehnt spielt wie Italien zu elft, wenn es nur verteidigen muss. Dass dann Suarez, nachdem er sich im Spiel gegen England zum Helden seines Landes gemacht hat, Chiellini in die Schulter beißt, und das natürlich niemand gesehen hat, ist typisch. Es erinnert mich an meine Kindheit und die vielen Wrestling-Matches, die man gesehen hat, von denen man glaubte, sie wären nicht inszeniert. Da lenkt der Manager des Bösewichts den Ringrichter ab, während der Bösewicht dem Guten einen Klappstuhl um die Ohren schlägt. Umgekehrt wird jede fragwürdige Aktion des Guten sofort vom Ringrichter abgemahnt. Meist endet es damit, dass beide Akteuere erschöpft am Boden liegen, samt Ringrichter, weil auch der bei irgendeiner Aktion bewusstlos geworden war, und der Gute versucht einen Pin, den der Ringrichter aber nicht zählen kann, weil er ja noch so benommen ist. Da kommt dann der Manager des Bösen mit Klappstuhl, schlägt ihm den Guten auf den Kopf, der Böse erwacht gleichzeitig mit dem Ringrichter aus der Bewusstlosigkeit, pinnt den Guten und der Kampf ist gewonnen. So, oder so ähnlich war es auch mit Suarez und Uruguay.


Italiens Ausscheiden ist traurig, weil immer noch die erste halbfinalreife Partie gegen England nachklingt. Und das betrifft beide Mannschaften. Italiens Ausscheiden geht aber auch in Ordnung, das haben die letzten beiden Partien gezeigt. Dass jetzt der Außenseiter Costa Rica und das grausige Uruguay weiter sind, ist hoffentlich keine Plotkonstruktion, die den Rest des Turniers halten wird. Denn letzt läuft diese WM Gefahr, zu kippen: Jetzt kann es so sein, dass immer die Mannschaft, die man sich zu seinem momentanen Favoriten erwählt hat, gegen eine Pfui-Mannschaft ausscheidet. Vorsicht also Frankreich, vorsicht Holland! Ich halte große Stücke auf euch!
Und am Ende steht Deutschland gegen Brasilien im Finale und sie revanchieren sich für die verpatzte Heim-WM vor 8 Jahren. Ein schweißtreibender Albtraum! Denn bei aller spielerischer Fragwürdigkeit, darf man nicht vergessen, dass Deutschland eines hat: Fleisch und Knochen!



Held der letzten zwei Tage:
Neymar, der Unbeschwerte. Nur, wenn er bis zum Schluss so weitermacht, kauf ich ihm den Schmäh ab.

Buhmann der letzten zwei Tage:
Luis Suarez, wer sonst? Die Hackfresse von Uruguay, der Beißer von Natal - ein Mensch aus Fleisch und Knochen, doch ohne jede Moral.

Montag, 23. Juni 2014

Das Schweigen im Regenwald


Zu später Stunde im Märchenregenwald von Manaus ereignete sich Bemerkenswertes!


Unter den Teams, die mir bisher am besten gefallen haben, finden sich einmal mehr die US-Amerikaner. Das ist einerseits überraschend, weil ich ihnen diesmal nicht so viel zugetraut hatte, was vor allem an den Gruppengegnern gelegen hat. Andererseits haben sie mich bisher bei jeder WM mitgerissen, weil sie, ungeachtet des Ergebnisses, das am Ende dastand, immer engagierten, aufregenden Tempo-Fußball gespielt haben: Popcorn-Soccer vom Feinsten also.
So war es auch gestern Nacht, als sie gegen die vom ersten Spiel angeschlagenen und etwas demoralisierten Portugiesen ran mussten. Für Portugal war ein Sieg mehr oder weniger Pflicht, und es sah auch so aus, als wäre diesmal mehr drin. Dabei agierte die Mannschaft wieder nicht überzeugend. Es machte sich trotzdem das Gefühl breit "Wir sind Portugal und deshalb gehören wir ins Achtelfinale. Egal, ob unser halber Kader verletzt und Cristiano Ronaldo nicht in Form ist!"

So kam es zu einem recht offenen Schlagabtausch, der vor allem durch die sehr frühe Führung Portugals (Nani, 3. Minute) rasch den Charakter einer Rapidviertelstunde bekam. Es fühlte sich ab Minute 5 an, als wären nur noch 5 Minuten zu spielen. Da wurde keine Zeit mit geduldigem Spielaufbau verschwendet. Mittlerweile bezweifle ich, ob Team USA den gegen stärkere Teams überhaupt draufhat. Die Bälle wurden von Zusi oder Beckerman nach vorn gespielt, wo sie abwechselnd den unermüdlichen und gestern ganz unglaublichen Jermaine Jones oder gleich Clint Dempsey fanden, der auch gerade zufällig das Turnier seines Lebens spielt. Gegen stärkere Teams würde so ein Spielansatz vielleicht nicht einmal Halbchancen kreieren, Portugal aber machte regelmäßig einen überranten Eindruck und wurde bei Ballgewinn in der eigenen Hälfte gnadenlos von Bradley, Jones oder dem aufgerückten Beasley attackiert.

Tempofußball war das, den in der Hitze von Manaus durchzustehen man nur den konditionell fittesten Teams zutrauen kann. Dass die USA über ein solches verfügen, haben sie schon im Ghana-Spiel bewiesen. Und weil ein solcher Einsatz belohnt wird, kam es wie es kommen musste, und Team USA glich durch ein tolles Tor von Jermaine Jones in der 64. Minute aus. Doch das reichte den Amerikanern nicht, und sie machten weiter wie bisher. Aber Portugal zeigte sich willens, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen zu halten und durch eine neuerliche Führung die Chance auf einen Aufstieg am Leben zu erhalten. Diese Chance verringerte sich drastisch, als der unglaubliche Dempsey in der 81. Minute zum 2:1 einschoss. Die USA jubelten, das Stadion, das zu einem Großteil mit amerikanischen Fans gefüllt war, stand Kopf. Trainer Jürgen Klinsmann hüpfte auf seine unnachahmlich bubenhafte Weise an der Seitenlinie auf und ab. Der zweite Sieg und damit der Fixaufstieg schienen schon sicher, Portugal hingegen befand sich auf dem langsamen Abstieg ins Tal der Tränen.

Und freilich, man fühlte sich gerecht behandelt vom Fußballgott, dessen eherne Gesetze das Glück des Tüchtigen und die Belohnung für unermüdlichen Einsatz kennen. Eines dieser ehernen Gesetze ist aber auch jenes, dass das Spiel erst dann vorbei ist, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Und man konnte an Nanis Augen sehen, dass er heute noch nicht fertig war, dass sein Team noch nicht bereit war, aufzugeben. So stemmte sich Team USA die letzten 10 Minuten gegen in der Offensive wild rochierende Portugiesen, die nur noch ein Ziel hatten: Mit allen Mitteln zum Ausgleich zu kommen, um die Mini-Chance noch am Leben zu erhalten, doch nicht bereits nach der Vorrunde heimfahren zu müssen. 5 Minuten Nachspielzeit: Klinsmann immer wieder an der Seitenlinie mit weit aufgerissenen Augen - ein Weltschmerzgesicht von Cristiano Ronaldo, dem bis dato so wenig gelungen war. Klinsmann deutet seinem Team "Nach vorne, nach vorne!", er wollte Ballbesitz und Pressing.

Da tat sich plötzlich rechts ein Raum auf und C. Ronaldo bekam den Ball. Noch 30 Sekunden waren zu spielen, das würde wohl der letzte Angriff sein. USA in der Rückwärtsbewegung, Ronaldo rennt die Seitenlinie entlang, schlägt seine erste brauchbare Flanke des Tages, die den Kopf von Silvestre Varela findet: Tor!
Stille. Die Portugiesen, wissend, dass man mit diesem Treffer bloß das Allerallerschlimmste verhindert hat, trotten zum Anstoßkreis zurück, großartiger Torjubel bleibt aus. Klinsmann rauft sich die Haare und steht wie angewurzelt vor der Trainerbank. So nah war man dran!

Der Schiedsrichter pfeift an und pfeift auch gleich wieder ab - das Spiel ist vorbei, das Stadion in Manaus schweigt. Niemand kann fassen, was gerade passiert ist. Man glaubt bloß, von ferne Affen aus dem Regenwald verzweifelt in die Nachr kreischen zu hören. Die Amerikaner schleichen gequält übers Feld. Was wäre das gewesen! Sechs Punkte und Fixaufstieg! Die Energie, welche die Spieler seit Dempseys Führungstreffer befeuert hat, sie ist mit einem Schlag weg. Eine ausgeblasene Kerze, die nur 15. Minuten lang gebrannt hat.

Freilich, die Ausgangslage ist immer noch gut, denn sowohl Deutschland als auch den USA genügt jetzt ein Unentschieden. Und es ist nicht einmal so wichtig, ob man als erster oder zweiter aufsteigt, weil die drohenden Achtelfinalgegner Belgien oder Algerien heißen, von denen erstere immer noch nicht extrem überzeugt haben, und letztere halt eben doch Algerien sind.
Aber wie hart und aufregend Fußball sein kann, das haben uns die Amerikaner in beiden Spielen gezeigt. Und wie bitter das Spiel sein kann, wissen wir von Portugal. Diese Gruppe G hat es wirklich in sich, und ich bin froh, gestern doch so lange durchgehalten zu haben, weil dieses Match wohl eines sein wird, an das ich mich noch lange erinnern werde! Danke USA, danke Portugal!


Held des Tages:
Team USA als Ganzes. Fighting Spirit bis zum Gehtnichtmehr und durchwegs hohes Niveau fast aller Akteuere (Jones, Dempsey, Beasley, Bradley, Zusi, Beckerman und Howard waren top, Bedoya ein wenig enttäuschend und Geoff Cameron schaut 90 Minuten lang drein wie ein Psycho).
Die USA steigen in die Gruppe der beherzt-belohnten "Underdogs" aus der zweiten Reihe auf und finden sich in guter Gesellschaft mit Costa Rica, Kolumbien und Ghana wieder.

Buhmann des Tages:
Im Spiel gestern hat sich die Bezeichnung nicht wirklich jemand verdient. Außer vielleicht der Portugiese Eder, dessen Name schon Langweiliges verspricht, und der es auch unter Druck nicht schafft, ein notorisches Formtief zu überwinden. Im Gegensatz zum Beispiel zu Nani, der ja auch keine überragende Saison gespielt hat, oder auch Ronaldo, der als nicht-Fitter immer noch eine sehr gute Figur macht.

Sonntag, 22. Juni 2014

Ein Dreiviertel-Salto

Es geht sich immer wieder gerade noch aus für die Deutschen. Die Verfallserscheinung lässt sich aber bereits an Kloses Salto ablesen.


Es war das erwartet schwierige Spiel für Deutschland. Denn obwohl es nach dem 4:0 gegen Portugal fast niemand wahrhaben wollte: Die Deutschen sind noch nicht da, wo sie hin müssen, wenn sie Weltmeister werden wollen. Ghana hingegen spielt am Limit, das die Mannschaft immer ein bisschen nach zu setzen versteht, wenn Weltmeisterschaft ist. Ghana spielt wild, unermüdlich, passioniert. Man sehe sich nur Asamoah Gyan an, den Taktgeber Ghanas, den Torjäger, der in jeder Sekunde des Spiels 100% da ist. Kein Einwurf ist ihm unbedeutend genug, um auch nur eine Sekunde die Konzentration ein halbes Prozent herunterzufahren. Oder man betrachte den knallharten Muntari, der unbarmherzig mit den Gegenspielern ins Gericht geht; und der deswegen bzw. wegen zweier gelber Karten, die ihm diese Spielweise eingebracht hat, im entscheidenden Spiel gegen die USA fehlen wird.

Die Mängel im deutschen Spiel betreffen vor allem Philip Lahms neue Rolle im Mittelfeld, mit der er sich auch im zweiten Spiel noch nicht ganz anfreunden konnte. Sie betreffen die Vierer-Abwehrkette, die zwar im Schnitt wahrscheinlich die größte der Welt ist (Flanken und Kopftore dürften gegen Deutschland eigentlich nicht möglich sein), die aber in der Vorwärtsbewegung allzu klotzig wirkt. Allerdings sind das alles Dinge, die nicht so sehr ins Gewicht fallen, wenn man den Ruf hat, eine "Turniermannschaft" zu sein. Eine Mannschaft, die sich im entscheidenden Moment durchwurstelt, wenn es um alles geht. Eine Mannschaft auch, die über "Spezialkräfte" von Weltformat verfügt (O-Ton Löw). Eine solche Spezialkraft ist etwa der nun alleinige Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft: Miroslav Klose.

Es ist nämlich mit Deutschland so: Sie liegen ein Tor hinten gegen eine Mannschaft wie Ghana, und du weißt, dass das für Ghana nicht reichen wird. Selbst wenn Ghana zwei Tore Vorsprung gehabt hätte, wüsstest du: Wenn jetzt der Klose kommt, dann macht der drei Tore. Ich hab die Einwechslung Kloses übersehen und dachte doch die ganze Zeit an ihn. Sah es schon vor mir, wie er bei einem Eckball wie aus dem Nichts auftaucht, den Ball ins Tor köpft und dann seinen Salto macht. Und ich sah ihn den Fuß hinhalten im richtigen Moment, den Finger in den Himmel strecken und seine Mitspieler auf ihn stürzen, weil er Deutschland gerade den sicheren Sieg gebracht hat. Ich sah schon die Bildzeitung von morgen. Wenn nur dieser Klose kommt, dachte ich mir, ist alles vorbei!

Dabei stand er zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Feld, und ich sah ihn nur nicht. Ein paar Minuten später sah ich ihn dann: Er hielt den Fuß hin, der Ball fiel ins Netz und Miro machte seinen Salto, schaffte aber nur eine Dreiviertel-Drehung. Verfallserscheinung hin oder her - er hat es wieder mal gemacht und hat jetzt sogar Gerd Müller überholt. Der große Klose - der Abstauberkönig überholt den Abstauberkönig. Er muss aber nach dieser WM aufhören, sonst bleibt er bei der nächsten EM während seines Saltos kopfüber in der Luft stehen. Das wäre ein furchtbares Karriereende. Obwohl ich ihn nicht mag und er mich nie ob seiner Fertigkeiten begeistern konnte, bleibt am Ende doch der Satz stehen: Was für ein Klasse-Stürmer!

Der Mannschaft von Ghana muss man gratulieren, dass sie nach dem 0:1 nicht zerbröselt ist. Denn so ergeht es vielen Mannschaften gegen Deutschland - nicht nur Portugal. Gratulation auch, dass sie nach dem 2:2 nicht noch ein Tor bekommen haben. So ergeht es nämlich auch vielen. Vor allem, wenn Klose kommt, denn wenn der eingewechselt wird, möchte er sich auf die Bild-Titelseite schießen.
Und dieser Götze? Ein Kind im Grunde. Sein Tor war symptomatisch: Er trifft den Ball nicht richtig mit dem Kopf, hat aber das Glück, dass ihm das Spielgerät just auf das gebeugte Knie und von dort ins Tor springt. Ein Un-Tor eigentlich. Ein Nicht-Tor als Tor. Zufall, ohne den bekanntlich beim Fußball nichts geht. And what about Müller? Ist der große Hurra-Müller schon nach dem zweiten Spiel Geschichte? Nein, denn im Grunde hat er gestern die bessere Partie gespielt, tritt jetzt als Triebkraft im deutschen Angriffsspiel auf. Da muss der Nachname nicht zum Verb werden, aber Müller hat sich zum eigentlichen Leader gemüllert (Führer darf man ja hier nicht sagen) - zumindest gilt das so lange, bis es Schweinsteigert, dessen Auftreten der Mannschaft immer noch ein bisschen Voodoo-Kraft a la Drogba gibt.

Ein arges Ding für Ghana war das, obwohl sie natürlich gerne den Punkt mitnehmen. Das ärgere Ding war nämlich das Spiel gegen die USA. Und das Abschlussspiel gegen Portugal wird nochmal ein ärgeres Ding, da geht es nämlich dann wieder um alles. In der Gruppe G geht es jetzt sowieso immer um alles. So auch heute Nacht, wenn die US-Amerikaner gegen die seltsamen Portugiesen spielen. Vielleicht gibt uns die WM mit diesem ein weiteres Rätsel auf. Bis dahin müssen wir die Spiel der langweiligen Belgien-Gruppe erdulden. Der Super-Ober-Geheimfavorit muss heute seiner Rolle gegen Russland gerecht werden. Ob er das schafft? Mir eigentlich egal, ich werde da noch immer mit der Gruppe G beschäftigt sein...


Held des Tages:
Asamoah Gyan mit seinem schönen Tor zum 2:1. Wer weiß, wie lang er uns noch erhalten bleibt.

Buhmann des Tages:
Mario Götze, den ich jetzt schon nicht mehr sehen kann. Mit seinem Un-Tor, das so gar nicht zu dieser WM passen will.

Samstag, 21. Juni 2014

Die Unwägbarkeiten eines Turniers

Wer dachte, die WM wird nach der ersten Runde in die bequemen Gefilde durchschnittlicher Unterhaltung zurückfallen, der hat sich geschnitten. Eigentlich wird's immer besser.


Auf nichts kann man sich verlassen bei dieser WM! Nicht mal auf Italien, und so lässt uns ein weiterer "Großer" nach Spiel zwei ein wenig ratlos zurück. Wie schon Brasilien, wie schon England, Spanien, Holland und Uruguay. Wir kratzen uns am Kopf und wissen nicht, wem wir als nächstem unser volles Vertrauen schenken sollen. Auf das Argentinien-Spiel warten wir noch, auf Deutschland eh auch. Und ehe wir uns versehen, kommen auf einmal die Franzosen daher und stehen nach zwei Spielen mit drei Punkten und einem Torverhältnis von 8:2 da. Aber alles der Reihe nach...

CRC - ITA 1:0


Tatsächlich haben die Ticos das eigentlich Unmögliche geschafft und stehen nach zwei Spielen als Sieger der im Vorhinein als sehr schwierig eingeschätzten Gruppe D fest. Bitte was? Costa Rica? Gegen drei Ex-Weltmeister? Gegen das grundsolide Italien, das neu erstarkte England und den WM-Vierten von Südafrika? Wer darauf gewettet hat, dem sei gratuliert, denn das hätten sich die Costa Ricaner wohl selbst nicht zugetraut.
Mehr als ich über die Ticos verwundert bin, bin ich von den Itakern enttäuscht. Zuerst habe ich mich gefreut, weil der im ersten Spiel eine so unglückliche Figur machende Paletta nicht dabei war. Dass sich Italien aber dann so steif und klobig präsentieren würde, war doch überraschend. Vielleicht war es der Schiss, gegen die furchtlosen Costa Ricaner zu viel zu riskieren?

Die "kleinen Teams", gegen die man technisch nicht auf Augenhöhe spielen kann, gegen die man sich aber taktisch einiges überlegen muss, und die am Ende immer den psychologischen Vorteil haben, das sind die vorläufigen Gewinner dieser WM. Das ist erstmal schön und gut so.
Die "Großen" aber wachsen mit ihren Aufgaben und spielen ihren besten Fußball immer dann, wenn es gegen die gefährlichsten Gegner geht und das Spiel am wichtigsten ist. Diesem Druck der Okkasion können am Ende Teams wie Costa Rica oder Kolumbien nicht standhalten. Das behaupte ich jetzt trotz des Wissens, dass es bei dieser WM noch jedes Mal anders gekommen ist als erwartet!

Die Gruppe D allerdings wird noch spannend. England ist einmal draußen, aber wer folgt Costa Rica ins Achtelfinale? Im direkten Duell, das ein praktisches Sechzehntelfinale ist, stehen sich jetzt zwei Teams gegenüber, die in zwei Spielen völlig unterschiedliche Seiten gezeigt haben: Uruguay und Italien. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass die Entscheidung um den Achtelfinalplatz etwas mit den Namen Balotelli und Suarez zu tun haben wird. Somit hat das Spiel jetzt schon einen bitteren Beigeschmack; es schmeckt ein wenig schandhaft und gefährlich. Wie die Luft vor einem Gewitter. Wie jener italienische Aperitiv, der den Namen Pirlo trägt. Ich behaupte: Das wird ein Knaller!


FRA - SUI 5:2


Interessant, wenn man sich die Statistiken zu diesem Spiel anschaut: Frankreich hatte weniger Ballbesitz, was nach der Überwindung von Tikitaka tendenziell als ein gutes Zeichen zu werten ist (s. Salzburg, s. Holland). Denn schließlich kommt es darauf an, was man mit dem Ball macht, wenn man ihn erstmal hat; ob man ihn in den eigenen Reihen herumschiebt, oder den Zug zum Tor sucht. Den suchte Frankreich, und während sich "Les Bleus" auf eine erfolgreiche WM-Kampagne eingroovten, wurde der Schweizer Stern engültig in der französischen Offensivmaschine zerrieben. Dabei schossen die Franzosen nur 5 Mal öfter als die Schweizer, dafür doppelt so oft aufs Tor. Das zeigt, dass die Schweiz oft nur aus Verlegenheit den Ball Richtung Tor holzten - ein Beweis auch für die funktionierende Defensivleistung der Franzosen. Die beiden Tore für die Schweiz fielen ja erst in den letzten 10 Minuten des Spiels, wo eh schon alles wurscht war.

5 Tore von 5 verschiedenen Spielern - auch das sind immer gute Nachrichten, denn es zeigt, dass Frankreich nicht von einem Benzema abhängig ist, obwohl dieser seine gute Form aus der Ligasaison in die WM hinüberretten konnte. War das erste Spiel der Blauen noch nicht aussagekräftig genug, weil es gegen den Gruppenaußenseiter Honduras ging, wird sich die wahre Größe der Franzosen kurioserweise im letzten Gruppenspiel gegen Ecuador zeigen. Da greift nämlich jener Effekt, den ich oben beschrieben habe. Frankreich hat sich nämlich nach nur zwei Spielen rehabilitiert und weiß sich jetzt wieder dort, wo es lange gewesen ist: Inmitten der großen europäischen Fußballnationen. Vielleicht ein bisschen hinter Deutschland, aber wie es momentan aussieht neben Italien und Holland, und sogar noch über England und Spanien. Ein schöner Platz ist das - jetzt nur nicht nervös werden!



Held des Tages:
Bryan Ruiz, der mit seinem Treffer gegen Italien nicht nur seiner eigenen Nation einen schönen Tag bescherte, sondern einer anderen (England) gleichzeitig das fixe WM-Aus garantierte. UND: Wir bekamen wieder mal ein bisschen Torlinientechnologie aus Deutschland zu sehen! Viel mehr kann man mit einem Tor nicht erreichen!

Buhmann des Tages:
Cassano, von dem ich dachte, Italien käme ganz ohne ihn aus. Er steht für die schmutzige Berlusconi-Ära. Eine zwielichtige und grausame Figur, nicht nur optisch sondern auch menschlich!

Freitag, 20. Juni 2014

Offenbarungen

Manchmal ist Fußball zum Weinen schön: Wie Spielfreude und Einzeltäter den WM-Tag wohlig machten.


Hochinterressante Duelle bot der gestrige WM-Tag - natürlich mit Ausnahme des Nachtspiels Japan gegen Griechenland. Ich glaube, ich werde am Ende der WM kein Spiel von Japan gesehen haben und auch nicht traurig darüber sein. Über die anderen Spiele gestern war ich aber höchst erfreut, weil sie Abwechslungsreiches und gleichermaßen Unerwartetes boten. So kam es beim Duell Elfenbeinküste gegen Kolumbien zu einem Aufeinandertreffen frisch und unbeschwert aufspielender Mannschaften. Das unglückliche England steht hingegen vor dem Aus, weil die Urus unerwartet wiedererstarkt sind. Schuld daran trägt nur ein Mann...

ENG - URU 1:2


Wer hätte das gedacht, dass der zwischenzeitliche WM-König Luis Suarez heißen würde? Neymar war okay, Messi hat bis jetzt eher enttäuscht, C. Ronaldo war nicht zu sehen. Und dann kommt Suarez im zweiten Spiel der garstigen Urus, die letztens noch so uninspiriert zu Werke gingen, dass man sie am liebsten ohne zweites und drittes Spiel nach Hause geschickt hätte, und macht mit zwei Toren alles klar. Und was für Tore waren das! Suarez zeigte damit in seinem ersten Spiel, dass er nicht nur Lausbub, sondern eben auch ein Top-Stürmer ist; einer, der den Unterschied machen kann. Sympathisch wird er mir deswegen nicht, aber seine Leistung erkenn ich gerne an, zumal sie von einem inspirierter auftretenden Team Uruguay getragen wurde. Uruguay ist vielleicht auch eine Mannschaft, die an ihren Aufgaben wächst.

England wiederum tut mir Leid. Das erste schwere Spiel gegen Italien, in dem man sich so gut verkauft hatte, ließ für Spiel zwei größere Hoffnungen zu. Gerade wegen der schwachen Leistung Uruguays gegen Costa Rica. Aber so sehr man sich auch mühte, es ging nichts rein. Trotzdem wird man das Spiel nicht vergessen, weil Wayne Rooney seinen ersten WM-Treffer überhaupt erzielte. Und fast glaubte man, es sei nicht nur sein erster, sondern gleichzeitig auch ein immens wichtiger, einer, der England hoffen lassen könnte. Jetzt aber steht England nach zwei Spielen mit 0 Punkten da und kann aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommen. Ein Lichtblick: Bei der nächsten Euro wird mit England wieder zu rechnen sein. Und man spart sich erstmal das Elfmeterschießen...

COL - CIV 2:1


Auch das 18-Uhr-Spiel war eine Offenbarung. Kolumbien gegen Elfenbeinküste lautete das Duell, und dabei handelte es sich um zwei Mannschaften, die gern von Leuten gemocht werden, die was von Außenseitern halten. Das Stichwort lautet "unbeschwertes Spiel", denn ohne die Last von vielen Dekaden Fußball-Geschichte und der entsprechenden Erwartungshaltung von Fans und Volk spielt es sich für gewöhnlich leichter. Man hat nichts zu verlieren, aber eben auch nichts zu verschenken. So kommt es dann, dass Leute wie Cuadrado wie aufgezogen eine Sensations-Szene nach der anderen bieten. Da wird getrickst wie sonst nur in der Schülerliga oder auf der Spielkonsole. Es hilft natürlich auch, wenn man die Atmosphäre genießen kann, zum Beispiel wenn das ganze Stadion gelb ist und bei jedem Pass mitheult. So muss es auch gestern für die Chilenen gewesen sein, als nach dem letzten Ton der Nationalhymne das ganze Maracana-Stadion die zweite Strophe angestimmt hat. Für solche Momente lebt man als Fußballer - und das gilt vor allem für die "kleineren Nationen" mit Spielern, die vielleicht nicht jede Saison im Champions-League Halbfinale spielen.

Es hilft auch, wenn man, wie der Ivorer Serey Die, beim Abspielen der Nationalhymne zu weinen beginnt, weil man von der Situation überwältigt ist, sich dann extra reinhaut und eine Hammerpartie spielt. Oder wenn man, wie Gervinho, einfach wieder mal die ganze Verteidigung ausspielt, also ein Solo nach alter Schule macht, und dann auch noch trifft. Oder wenn man einen Ball in den Strafraum schlenzt, und damit nicht nur Abwehr sondern auch Mitspieler überrascht und dann der Fallrückzieher zu kurz kommt. Und manchmal hilft die alleinige Erscheinung des großen Drogbas eben auch nichts. Denn Kolumbien ist nicht Japan (was letztere spätestens in ihrem gestrigen Spiel gegen die Griechen bewiesen haben), und die Elfenbeinküste eben doch "nur" die zweitbeste afrikanische Mannschaft dieses Turniers, auch wenn sie momentan noch einen Sieg mehr haben als Ghana...


Held des Tages:
Nicht Suarez, dafür ist es noch zu früh. Er hat sich noch nicht rehabilitiert, obwohl das Trösten seines Liverpool-Teamkameraden Gerrard schon eine schöne Szene war.
Held hingegen war heute eindeutig Juan Cuadrado, der kaffeegedopte Mittelfeld-Wirbler von Kolumbien, der durch sein spektakuläres und unermüdliches Agieren nicht nur Mitspieler, sondern auch Fans verzückte.

Buhmann des Tages:
Wahrscheinlich irgendeiner aus dem Griechenland-Japan-Spiel. Für sonstige Buhmänner war gestern kein Platz!

Donnerstag, 19. Juni 2014

Das Glück, der Zufall und die Dummheit

Fußball ohne Zufall - das wäre reine Rechnerei. Und wer das Glück hat, hat dies immer auch zu rechtfertigen.


Das Glück, das haben immer die Dummen oder die Tüchtigen. Darauf kann sich der Volksmund noch nicht so recht einigen. Gestern hatten alle ein bisschen Glück und stellten sich dabei mal dumm, mal
tüchtig an. Also gibt auch der Fußball keine Antwort darauf, ob jetzt die Tüchtigen oder die Dummen die wirklich Glücklichen sind. Früher war es einfacher, da hatten im Fußball das Glück immer die Deutschen. Ob aus Dummheit oder Tüchtigkeit - darüber scheiden sich die Geister.

NED - AUS 3:2


Fast hätte ich jetzt 2:3 geschrieben, und bin da gar nicht so weit entfernt. Letztlich wäre auch ein 2:2, ein 4:2, ein 2:4 oder ein 3:3 möglich gewesen. Ja, es ist immer alles möglich. Aber so möglich wie gestern alles Denkbare war... Es hätte genauso gut sein können, dass ein Vogel dem Schiri ins Auge kackt und das Spiel abgebrochen werden muss und dann von zwei Fans im Elferschießen entschieden wird. Ok, da hätte das Fifa-Reglement vielleicht was dagegen, aber gerade das Fifa-Reglement löst den Wahlspruch der österreichischen Lotterien immer am besten ein: Alles ist möglich!

Holland also nach dem furiosen Auftritt gegen den nun schon fix Ex-Weltmeister Spanien mit der erwartet schweren Aufgabe gegen Australien: Schwer, weil die Erwartungen hoch waren; schwer aber auch, weil man schon im ersten Spiel sehen konnte, dass Australien Kampfgeist und Disziplin besitzt, zwei Attribute, die es jedem "Großen" schwer machen. Dass Holland - wie Argentinien in seinem ersten Spiel - mit fünf Defensiven auflief, war dumm. Und Dummheit wird im Fußball selten belohnt. Es gibt aber Ausnahmen, und deswegen machte Holland nach langem Schweinskick wie aus dem Nichts ein Tor. Ungerecht, weil eigentlich unverdient war diese Führung, und das dachten sich sicher auch die Australier. Also machten sie postwendend den Ausgleich, auf holländische Art: Flanke von hinten, Tor  - so einfach ist das. 1:1, also eigentlich wieder 0:0.

So unerklärlich dieses Ausgleichstor war, so schön war es auch. Und eigentlich wars irgendwo auch Zufall. Schon die Flanke von Ryan McGowan fand mehr oder weniger glücklich den Fuß von Cahill. Ausgesehen hat es wie einstudiert - und muss doch, bedenkt man die fußballerische Klasse Australiens, eigentlich Zufall gewesen sein. Zufällig, aber gerecht! Weil das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Zufall, Glück und Gerechtigkeit sind ja aus dem Fußball nicht wegzudenken, obwohl sie mit dem Spiel an sich nichts zu tun haben. Sie sind da und nehmen Einfluss, obwohl man nie genau sagen kann, wie.
Die erste Halbzeit brachte jedenfalls spielerisch nichts, und doch stand am Ende ein 1:1 da.

In der zweiten Halbzeit hatte Holland einen anderen Plan. Louis van Gaal dachte sich, dass es vielleicht doch nicht so fesch ist, gegen einen Underdog feig ein Nicht-Spiel aufzuziehen und auf zufällige Treffer zu hoffen. Aber da hatten auch schon die Australier Glück und bekamen einen Elfer zugesprochen, der keiner war. Ungerecht! Aber auch wieder irgendwie gerecht, weil man sich den Führungstreffer doch verdient hatte. Die Tüchtigen eben... Nur, dass man auch wissen muss, dass das Glück ein Vogerl ist! Und kaum hatte man sich die Führung schenken lassen, musste man van Persie dabei zusehen, wie er dem Glück den Vogel zeigt und zum 2:2 ausgleicht. Perdauz!, dachte sich der Fußball-Fan, wie mag das wohl weitergehen?

Man hätte es bei einem 2:2 bewenden lassen, oder sich auf ein 3:3 einigen können. Stattdessen schenkt der Zufall Holland ein weiteres Tor. Einen halbherzigen Weitschuss von Memphis Depay vermochte der australische Keeper nicht zu halten und so stand es in der 68. Minute auf einmal 3:2. Dann ging es noch ein paar Minuten hin und her und als jemand, der diesem fußballerischen Wahnsinn bis jetzt zugesehen hat, wusste man, dass hier noch alles passieren kann. Schließlich ließen aber die Konditionsreserven der Australier nach und Niederlande spielte seinen zweiten Sieg nach Hause. Jetzt steht man fix im Achtelfinale mit zwei Siegen - vor sich ein Spiel um den ersten Gruppenplatz, um vielleicht Brasilien umgehen zu können. Wie das gegangen ist, weiß man nicht so recht.

Weil aber die Gruppe A nicht ohne die Gruppe B gedacht werden darf und umgekehrt, könnte man sowohl mit einem ersten als auch mit einem zweiten Platz auf die äußerst unangenehmen Kroaten treffen, die im ersten Spiel dem Titelfavoriten Brasilien das Leben schwer gemacht haben, und die sich gestern mit einem 4:0-Sieg gegen das desolate Kamerun richtig viel Selbstvertrauen für das letzte Spiel gegen Mexiko geholt haben. Überhaupt sind sowohl Brasilien als auch Mexiko unangenehme Achtelfinalgegner - und die Kroaten sowieso! Wie es derzeit aussieht, würde sich Holland vielleicht sogar gegen Brasilien leichter tun als gegen Kroatien. Vielleicht geht es im letzten Gruppenspiel ja auch darum, zu verlieren, um dem unangenehmeren Gegner zu entgehen. Wer das sein wird, steht freilich erst nach dem letzten Spiel der Gruppe A fest. Das ist spannend, und da ist noch viel Platz für Zufälle und Glück. Und auch für Dummheiten.


ESP - CHI 0:2


König Juan Carlos dankt ab, und auch die Furia Roja scheint Geschichte zu sein. An einem Punkt dachte ich mir: "Spanien liegt 0:1 hinten und Xavi sitzt auf der Ersatz-Bank", und da wusste ich, dass dies das sicherere Zeichen für den spanischen Untergang war als die 1:5 Niederlage gegen Holland letzte Woche. Chile hat gezeigt, dass sie den Erwartungen, die nach der letzten WM in sie gesetzt wurden, doch gerecht werden können (auch wenn dies vor dieser WM wieder keiner geglaubt hätte). Spanien hingegen ist raus. Ende, vorbei. Schlusspunkt im ehrwürdigen Maracana-Stadion. Am traurigsten ist, dass sie noch ein Spiel zu bestreiten haben - ein völlig überflüssiges gegen Australien, das sie nicht einmal verlieren dürfen. Wir verabschieden uns von diesem beeindruckenden Spanien, das die letzten Jahre den Fußball geprägt hat wie kein anderes Land; das zwei Mal Europa- und einmal Weltmeister geworden ist; das uns mit seinem Tiki-Taka zuerst verzaubert, und dann ganz schön genervt hat. Schön, dass wir das alles erleben durften! Danke Xavi, danke Iniesta, Puyol, Alonso, Casillas, Ramos, Pique und wie sie alle heißen! Man kann ihnen nur wünschen, dass sie beim nächsten Mal wieder zum engen Favoritenkreis zählen werden und nicht in die talentierte Mittelklasse abrutschen, wo sie vorher so lang gewesen sind.


Held des Tages:

Der Andre Agassi des Fußballs, Chiles Trainer Jorge Sampaoli. Keiner ist hemdsärmeliger als er, und schlauer sind auch nicht viele.


Buhmann des Tages:

Louis van Gaal für die erste Halbzeit seiner Mannschaft. Ein totaler, grauenhafter Irrweg, der Anklänge an Rehakles hatte. Mit Halbzeit zwei hat er den Kopf aus der Schlinge gezogen, aber ohne dem Glück der Dummen hätte es schlecht ausgesehen!

Mittwoch, 18. Juni 2014

Zwischenrunde


Erste Runde geschafft und der Gastgeber wackelt zum ersten Mal.


Mit den gestrigen Spielen aus der Gruppe H haben wir den ersten Durchgang beendet und konnten uns ein Bild von allen Mannschaften machen. Von einigen ein besseres als von anderen, aber doch sind erste Tendenzen zu erkennen:
Von den großen Favoriten überraschten uns Spanien und Argentinien negativ. Den Spaniern gelang es nicht, gegen entfesselte Holländer auch nur irgendein Spiel aufzuziehen und Argentinien startete mit seltsamer Taktik in eine verschlafene erste Partie gegen einen Zwergenstaat. Von Deutschland haben wir wenig gesehen, aber das, was wir gesehen haben, war gewohnt gut und wird sich in den nächsten beiden Gruppenspielen wohl noch festigen müssen. Italien hat bisher am meisten überzeugt, denn sie haben gegen ein überraschend gefährliches England eine hervorragende Partie gespielt. Bei Brasilien tut man sich jetzt schon ein bisschen schwerer, da deren zweites Gruppenspiel gegen Mexiko gestern Abend einige Fragezeichen hinterließ.

BRA - MEX 0:0


Tatsächlich schafften es die Brasilianer nicht, Mexiko zu biegen. Dass Mexiko seinerseits zu Chancen kommen würde, war spätestens nach den ersten Spielen beider Mannschaften klar. Mexikos Trainer Herrera hat seine Mannschaft gegen Brasilien aber hervorragend eingestellt, besonders was die Bewachung Neymars betrifft. Das war nicht immer schön anzusehen, aber es war klug und letzten Endes sehr erfolgreich. Die Brasilianer sind aber vor allem an Mexikos Keeper Ochoa gescheitert, der eine glanzvolle Partie spielte und somit für seine Mannschaft das Optimum herausholte.

Wir haben das zweite 0:0, das aber um viele Klassen besser war als jenes zwischen Nigeria und dem Iran. Brasilien überraschte eigentlich nur frisettentechnisch, denn Dani Alves ergraute über Nacht (vor Schreck? Ich kann es mir nicht vorstellen) und bei Neymar war auch irgendwas anders. Aber da letzterer sowieso aussieht wie gezeichnet, macht das nicht so viel. Ich halte von Neymar ja nicht viel, das ist mir zu viel Hype bei vergleichsweise wenig Substanz. Und WM-Helden, das sind meistens immer die geworden, von denen man es sich eh nicht wirklich erwartet hatte.

Das Spiel gestern war ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man den großen Mannschaften mit viel taktischer Disziplin gehörige Probleme bereiten kann. Wie sich das heute im Falle Australiens gegen die Niederlande ausnimmt, werden wir ja sehen...

War da noch was? Aja, wieder ein Spiel von einer dieser asiatischen Mannschaften gegen die unsympathischen Russen. Hab ich mir gespart und werde wohl nicht der Einzige gewesen sein...


Held des Tages:
Guillermo Ochoa, an den ich mich erst gewöhnen muss (nicht nur frisürlich). Denn für mich gab und gibt es nur einen echten mexikanischen Torhüter. Und der heißt Jorge Campos!

Buhmann des Tages:
War sicher einer vom Spiel Russland gegen Südkorea. Ich habe es nicht gesehen, aber was macht das schon?


Was noch aufgetaucht ist: Joe Hart verlangt nach dem Pirlo'schen Wunderfreistoß nach dem Ball:




Dienstag, 17. Juni 2014

Die Traurigkeit eines Großen

Ein wenig aussagekräftiges Auftaktspiel in Grupp G verrät mehr über Portugal als über Deutschland.

 

GER - POR 4:0


Portugal kann einem Leid tun. Diesmal hätte es klappen sollen, haben sich alle gesagt; allen voran Cristiano Ronaldo. Aber es hat nicht nur nicht geklappt, es ist eine Katastrophe: Denn man hat gegen eine wacklige deutsche Nationalmannschaft ein unwürdiges Spiel geliefert, dabei einen Weltstar demontiert, zwei Schlüsselspieler verloren und steht in der Gruppe G jetzt ganz schlecht da. Weil dieser portugiesischen Nationalmannschaft sowohl Ghana als auch die USA sehr gefährlich werden können. Das Selbstvertrauen, das ist erstmal dahin!

Es wundert mich nicht, dass Deutschland gegen Portugal gewonnen hat. Schließlich haben sie die Iberer auch die letzten Male geschlagen. Es wundert mich nur, wie hilf-, ideen- und lustlos die Portugiesen zu Werke gingen. Und das, obwohl Deutschland seine Probleme hatte, vor allem was Lahms neue Rolle im Mittelfeld und den Spielaufbau betrifft.
Portugal ist eine seltsame Mannschaft, die über einen hochklassigen Kader verfügt, den der beste oder zweitbeste Spieler der Welt schmückt. Die linke Seite mit Coentrao und C. Ronaldo gehört vielleicht überhaupt zum Besten auf Nationalteam-Ebene. Aber wie bei vielen Teams, zählen die Namen alleine wenig. Und wie sehr (oder wie wenig) ein Überstar in der Mannschaft hilft, hat man bereits an Argentinien gesehen: Das Spiel fällt auseinander, wenn der nicht liefert bzw. vom Gegner erfolgreich ausgeschalten wird. C. Ronaldo ist ein Großer, den man nicht mögen muss. Aber er ist immer wieder auch ein Trauriger - und Portugal ist eine traurige Mannschaft. Sie spielen, angesiedelt zwischen spanischen Flamenco und brasilianischer Samba, den Blues des talentierten Under-Achiever.

Die Deutschen müssen sich derweil nur wenige Fragen stellen. Auch dieses Mal ist man wieder nur mäßig ins Turnier gestartet. Dass es für einen 4:0 Erfolg über den Gruppen-Mitfavoriten gereicht hat, ist natürlich sehr angenehm. Gemessen an dem, was man von den anderen beiden Mannschaften in der Gruppe G gesehen hat, präsentierte sich Portugal bisher als schwächstes Team der Gruppe. Was aber nicht heißt, dass Deutschland gegen Ghana oder die USA Probleme bekommen wird. Im Gegenteil sind gerade diese Mannschaften ein hervorragender Test für die Deutschen, um sich im neuen System für die KO-Phase einzuspielen. Über Deutschland lässt sich momentan nicht viel mehr sagen, dafür gab das Portugal-Spiel zu wenig her. Und dass sie stark sind, wusste man vorher auch schon.

Es spricht für Jogi Löw und seine No-Striker-Philosophie, dass Thomas Müller schon nach dem ersten Match wieder Torschützenkönig-Kandidat ist, und Özil und Khedira ein bisschen mehr gezeigt haben, als von ihnen erwartet wurde. Offensiv funktioniert da einiges, und wenn Lahm sich in seiner neuen Rolle auch noch zurechtfindet, dann kann diese deutsche Mannschaft nur noch Italien aufhalten. Oder Brasilien. Oder Spanien. Oder Holland. Wir sind also so schlau als wie zuvor...


Mann des Matches:

Thomas Müller, das Stafraumungeheuer.

Buhmann des Matches:

Thomas Müller, der Aua-Aua-Schauspieler.

Deutschland, deine Fans

Ich hab das Thema hier schon einmal behandelt, mach das aber jetzt wieder, bevor es zu spät ist! Wie es um den deutschen Fußballfan bestellt ist, und warum der Fußball da gar nichts dafür kann.


Wenn mich ein Deutscher fragt, wem denn die Österreicher die Daumen drücken bei der Fußball-WM, dann ist das eine hinterlistige Frage. Und sie ist eine hundsgemeine obendrein. Denn erstens feixt da der Deutsche still in sich hinein, weil Österreich natürlich nicht dabei ist; manche haben sogar die Frechheit zu fragen: "Spielt Österreich denn mit?" Sie wissen es ganz genau!
Zweitens überprüft der Deutsche mit solchen Fragen die Gesinnung des Österreichers. Solidarisiert er sich mit der "Nationalelf", flüchtet er also unter den strahlenden Fußballhimmel des großen Nachbarn? Oder ist er ein grantiger Miesmacher, der den Deutschen nix gönnt, wohinter der Deutsche dann natürlich Eifersucht vermutet. Daran kann er sich dann wieder ergötzen, der Deutsche am leidenden Österreicher.

Ich antworte jedenfalls gerne diplomatisch und sage, dass wir uns "schwer tun" mit dem deutschen Fußball, und dass es ganz darauf an komme. Worauf es denn ankomme, fragt dann der Neugierige. "Wenn sie die bessere Mannschaft waren, dann freuen wir uns natürlich auch für die Deutschen", lüge ich dann gekonnt. Denn in Wahrheit müsste ich sagen: "Es kommt ganz darauf an, wie ihr mit eurem Erfolg umgeht!"
Heute im Frühstücksfernsehen habe ich ihn wieder gesehen, den Schlander, der mit Fahne und Schminkgesicht betrunken vor der Kamera herumhüpft, vollkommen außer sich, obwohl vermutlich schon viele Stunden nach dem Spiel, und dauernd ungläubig "Vier zu null! Vier zu null!" in die Kamera brüllt und dabei hysterisch lacht. Er freut sich also, der junge Mann; alles klar.

Die Freude über den deutschen Erfolg ist aber immer so verkrampft und inszeniert wie hier. Deswegen kennt sie auch kein Maß. Es gibt kein "war okay, gut gespielt, aber Portugal nicht gut" etc. Das kommt nur vom DFB selber, vom Trainer, von den Spielern. Die haben das gelernt. Die Fans nicht. Die Fans müssen sich freuen. Der Deutsche freut sich, weil es sein Recht und seine Pflicht ist. Das Recht hat er erworben durch den Sieg seiner Mannschaft, die Pflicht erlegt er sich quasi selber auf. Er pocht auf sein Recht zum Jubel. Das macht das ganze so verkrampft, das macht den Jubel so suspekt. Vor allem, weil das unverkrampfte Umgehen mit der eigenen Nationalität und das Bejubeln derselben immer noch nicht vereinbar ist. Ein Deutscher, der eine Fahne schwenkt - das ist eigentlich jedem egal. Nur die Deutschen selbst sehen sich ungern dabei zu, weil sie sich davor fürchten, dass irgendeiner dem Jubelnden ein Hitlerbärtchen unter die Nase malen könnte.

Vielleicht ist es so zu erklären, dass man im Jubel von sich selbst ablenkt und alle Energie auf Müller, Jogi, Schweini und wie sie alle heißen konzentriert. Man deutet hin auf die Elf, die in Adiletten in der Kabine steht, die arme Kanzlerin Merkel inmitten schwitzender Fußballer. Deutschland, Juchee! Der Hurra-Piefke stakst brav durch die Straßen, verkleidet pflichtbewusst seine Seitenspiegel mit schwarz-rot-gold, und tanzt zu Stefan Raab, Oliver Pocher, den Toten Hosen oder sonst irgendwelchen Vertretern deutscher Unterhaltungs-Unkultur. Das nervt, weil es ihm keiner glaubt, dass er sich wirklich freut. Eigentlich will er es nur allen gezeigt haben. Wieder mal die Besten, wieder mal obenauf. Ich fahr Mercedes, Opel, BMW, Audi und VW gleichzeitig und unser Müller ist der Beste! Deutscher Jubel ist ohne Übermaß nicht zu bekommen.

Der Unterschied zu anderen Nationen ist etwas schwerer zu vermitteln. Einerseits gibt es da jene, die ihre Begeisterung aus reinem Nationalstolz speisen. Das sind zum Beispiel die südosteuropäischen Jungnationen (Kroatien, Bosnien und Herzegovina), aber auch die Amerikaner oder die Russen. Die anderen ziehen ihre Begeisterung aus einer reichen und ausgiebig 365 Tage im Jahr gelebten Alltag-Fußballkultur. Dazu gehören zum Beispiel England oder Italien.
Für manche ist der Fußball die einzige Möglichkeit, überhaupt einmal wahrgenommen zu werden. Und so macht es die Menschen glücklich, ihre besten Fußballer im Fernsehen zu sehen und zu wissen, dass die ganze Welt sie auch sieht. Das betrifft meist Kleinstaaten und die sogenannten Exoten. Die Südamerikaner wiederum lieben es, ihre Lebensfreude zu zelebrieren und das öffentlich zur Schau zu stellen. Fußball gehört auch hier zum Alltag, wenn er auch hier weniger intellektuelle (wie in Europa) sondern eine sozial-identifikatorische Bedeutung hat.

Deutschland steht in dieser Riege irgendwie allein da. Ein Artikel in den Salzburger Nachrichten behauptete letztens, dass jede Mannschaft bei dieser WM einen Spitznamen für ihre Nationalmannschaft hat - alle außer die Deutschen. Das müsste man jetzt durchdeklinieren um es zu überprüfen, aber ich glaube es auch so. Deutschland ist keine Fußballnation im klassischen Sinne. Fußball stiftet hier keine Identität und ist auch nicht unbedingt im Alltag integriert. Er wird professionell betrieben, es gibt das richtige Umfeld, um großartige Spieler heranwachsen zu lassen. Deutschland ist auch eine erfolgreiches Land, sowohl mit der Nationalmannschaft als auch auf Vereinsebene. Aber Deutschland braucht den Fußball nicht, sie haben ihn nicht erfunden, sie haben ihn nie revolutioniert, sie sehen sich auch nicht als Fußballer, sondern in erster Linie als Ingenieure. Das mag jetzt ein Vorurteil sein, aber wenn man einen Italiener fragt, was Italien ausmache, kommt "Calcio" wohl ziemlich weit vorne.

Deutschland ist überall gut, weil der organisierte Sport genügend Talente hat und fördern kann. Freilich, Fußball mag die populärste Sportart sein, aber das ist er in den meisten Ländern. Weil eben Deutschland dieser Sport nicht ureigen ist, er aber die Macht hat, ein ganzes Volk in Jubelstimmung zu versetzen (eben durch seine Breitenwirksamkeit), ist er den Deutschen irgendwie unangenehm. Daher kann der Deutsche nicht wirklich entspannt jubeln und daher kommt es zur unnötigen Übertreibung. Die Leidenschaft fehlt, der Stolz ist da. Und stolz auf sein Land zu sein, das wurde den Deutschen verboten. Daher gibt es jetzt Schlander und Hurrapiefkes, die den Stolz auf "Jogis Buben" über die Unterhaltungskultur ausleben.

Die Lösung für alle Österreicher und andere, die sich an dem Getue stoßen, liegt darin, zu erkennen, dass das ja mit dem Fußball im Grunde nichts zu tun hat. Es hat ja auch niemand Schuld daran, dass es so gekommen ist. (Außer vielleicht Stefan Raab und Konsorten). Unser Problem ist die geographische, sprachliche und vielleicht auch historische Nähe zu Deutschland. Eigentlich schaue ich nämlich gern ARD oder ZDF, weil der österreichische WM-Firlefanz heuer wirklich unter aller Sau ist. Am Tag eines Deutschlandspiels aber meide ich diese Sender, nicht weil die Vorberichterstattung zu viel auf die deutsche Mannschaft eingeht, sondern weil eben auch dauernd diese Schlander auftreten. Und vielleicht auch, weil man befürchtet der deutsche Kommentator würde sich beim 4:0 ein bisschen zu viel freuen. Das ist die Kommentatorenvariante von C. Ronaldos Nach-einem-unbedeutenden-Elfmeter-Tor-das-Trikot-ausziehen-und-Posen.

Es ist also eh einfach: Sich am deutschen Fußball erfreuen, so er denn erfreuenswert ist, und den Rest nicht einmal ignorieren. Im Übrigen würde das alles, was ich oben über die Deutschen und ihr Verhältnis zum Fußball geschrieben habe, genauso für Österreich gelten. Gott sei Dank müssen wir nicht darüber nachdenken, wie wir uns verhalten würden, hätten wir eine erfolgreiche Mannschaft (die übrigens auch keinen Spitznamen hat). Stattdessen schauen wir die Deutschland-Spiele lieber auf ORF, schalten aber natürlich sofort um, wenn Deutschland in Rückstand gerät!

Über Effektivität

Herzog will was sagen, allein er weiß nicht, was!

 Die USA üben sich in Effektivität, und Herzog wird dafür vom ORF gelobt. Ghana bleibt unglücklich aber fleißig. Und warum die WM auch im Großen gesehen sehr effektiv ist.


Ein unsympathischer Titel für einen Blog-Eintrag ist das schon. "Über Effektivität", das klingt nach einer ausholenden abstrakten Erörterung; da kann man sich nichts drunter vorstellen, das langweilt schon im Vorhinein, ja eigentlich ist das unbedingt zu vermeiden! Aber der Begriff Effektivität ist nunmal einer, der sich schwerlich ersetzen lässt; und weil das Thema hier eben jene Effektivität sein soll, hält sich schon der Titel ans Thema: Er erklärt kurz und bündig, worum es geht. Ohne Metaphern, ohne Ausweichen. Dass der Begriff ein abstrakter ist, kommt in diesem Fall nur gelegen. Es geht nämlich um zwei Arten der Effektivität: Die spielerische und die dramaturgische.

"Effektiv haben sie gespielt", hört man meist, wenn eine Mannschaft für das Spiel genau gar nichts getan, aber mit einem Tor Unterschied gewonnen hat. Es hört sich beschönigend an, als würde man den Gammelfußball in Schutz nehmen wollen. Und meistens ist mit dem Prädikat "effektiv" auch genau das erreicht. Denn es ist effektiv, wenn man Kräfte schont, nur das Nötigste macht, und am Ende drei Punkte aus dem Spiel mitnimmt. Effektiv ist aber selten schön. Effektivität hat keinen Platz für Fehler, für Ungereimtheiten und ist deshalb per se unspannend. Das spanische Spiel etwa war vielleicht oft im Ergebnis effektiv, die Spielgestaltung aber war es nicht: Ständig den Ball zirkulieren lassen, ständig hochkonzentriert, aufwändige Pass- und Laufwege bis am Ende endlich der Torerfolg stand. Aber auch das holländische Spiel ist nicht effektiv, weil es vom Versuch lebt. Es wird versucht, und wenn etwas gelingt, ist es großartig. Wenn es aber nicht gelingt, schlittert man ganz schnell in die Katastrophe. "Vorne mehr Tore schießen als hinten bekommen", das ist nicht effektiv, aber es ist aufregend! Es ist zumindest besser als "hinten nichts bekommen und vielleicht vorne eins reinmachen".

GHA - USA 1:2


Warum ich hier über Effektivität doziere? Weil das Team USA gestern ein höchst effektives Spiel abeliefert hat. Nach 30 Sekunden stand es 1:0 für die US-Boys, und dann reichte es, diese Führung 82 Minuten lang zu verteidigen. Die Möglichkeit eines späten Gegentreffers ist in dieser Rechnung immer mit drin. Meistens setzt man darauf, dass Frust und Müdigkeit den Gegner mürbe machen und so mit Fortdauer der Spielzeit die Wahrscheinlichkeit für ein Gegentor sinkt. Nicht so bei Ghana, die unbeirrt über 80 Minuten konstant auf das amerikanische Tor spielten (21 Schüsse waren es insgesamt am Schluss). Allein, es fehlte der letzte Kniff, ein bisschen Glück, bis Ayew in Minute 82 endlich endlich das 1:1 machte. Ich hätte zur Mitte der zweiten Halbzeit sogar noch auf einen Sieg Ghanas gewettet, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das US-Team dem Ansturm so lange stand hält.

Doch vier Minuten später, die US-Amerikaner nahmen fast widerwillig wieder am Spielgeschehen teil, köpfte nach einem Eckball Team-Neuling Brooks zum 2:1 ein. Da tat mir Ghana Leid - wieder einmal wurde der Fleiß nicht belohnt. Für die USA war es das: Ein Tor in der 1. und eines in der 86. Minute waren genug für den zwischenzeitlich zweiten Platz in der Gruppe G. Unverdient? Jein, denn in der ersten Hälfte fand das Spiel doch in zwei Hälften statt. Da machten die Amerikaner noch mit und kamen auch zu einigen Chancen auf das 2:0. Nach der Halbzeit aber wurde nur noch verteidigt, und das ziemlich gut, weil spielerisch. Das ist kein Riegel-Holzen, das ist ein dynamisches und aktives Hintendrinstehen mit Anfälligkeit für Fehler. Die verstand Ghana zu wenig zu nutzen. Der Trost, dass Ghanas Tor eines der schönsten bisher war, wird den Afrikanern dennoch nur ein geringer sein.

Für Klinsmanns (und Andi Herzogs, wie der ORF nicht müde wurde zu betonen) Mannschaft war dieser Sieg wichtig, vor allem in Hinblick auf die schwache Leistung Portugals. Portugal kommt zerstört und geschwächt aus dem Auftaktspiel, aber auch die USA mussten drei Mal verletzungsbedingt wechseln, was freilich kein gutes Vorzeichen für die kommenden Spiele ist. Ghana kann im Prinzip nur noch auf irgendetwas nicht in ihrer Macht Liegendes hoffen, denn gegen Deutschland wird man sich nur schwerlich drei Punkte holen können.
Für mich persönlich ist es schade, dass Ghana und USA in einer so schweren Gruppe gelandet sind, da mir beide Mannschaften immer imponieren. Das sind Fußballnationen aus der dritten Reihe, knapp vor den Zwergen anzusiedeln, die aber spielen wie welche aus der ersten. Dieses Selbstbewusstsein wäre bei Kroatien, Bosnien oder Nigeria auch gut aufgehoben.


IRA - NIG 0:0


Dass in diesem Spiel insgesamt von beiden Mannschaften weniger Schüsse gekommen sind als in der eben besprochenen Partie, ist nicht verwunderlich. War dies doch die eigentlich "lang ersehnte" erste schlechte Partie dieser WM. Eine programmierte Fadesse zur Hauptabendzeit ist schon eine Frechheit. Nach den großartigen Partien der letzten Tage hatten wir aber die stille Hoffnung, diese Paarung zweier Halblustiger könnte sich doch zu einem ansehnlichen Schlagabtausch entwickeln. Weit gefehlt! Das war kein Fußballspiel, das war Sendezeitverschwendung! Das erste Unentschieden, das erste torlose obendrein, hat mir aber wenigstens Zeit gegeben, mich ein bisschen von den nervlichen Strapazen des Deutschland-Spiels zu erholen.

Und doch war es effektiv! Anstatt müde Partien gleichmäßig auf alle Gruppen aufzuteilen, hie und da ein Unentschieden einzustreuen oder ein glückliches 1:0, entschied sich diese Weltmeisterschaft, das alles in ein Spiel zu stecken, von dem sich sowieso keiner was erwartet hat. Clever, und wiederum sehr effektiv, wenn man es vom Dramaturgischen her betrachtet. Für die Gruppe F heißt das Unentschieden nämlich auch noch genau gar nichts, höchstens, dass sich Bosnien (rein spielerisch) Hoffnungen auf zumindest den dritten Platz machen darf.

Wenn meine Vermutung über die Effektivität stimmt, dann geht es heute munter weiter mit dem heiteren WM-Geballere. Auf dem Spielplan steht nämlich Mexiko gegen Brasilien (huch, wir sind schon einmal durch?) und der erste Auftritt des großen Geheimfavoriten Belgien, das sich gegen Algerien aufwärmen darf. Auch heute dürfen wir wieder früher ins Bett, weil zu später Stunde Russland gegen Südkorea spielt und wir, selbst wenn das ein tolles Spiel werden sollte, nicht allzu viel versäumen werden. Sag ich jetzt mal so. Weil die Gruppe H die Jammergruppe ist. Außer Belgien - aber das wissen ja eh alle.


Held des Tages:

Asamoah Gyan, der unermüdliche Rackerer, hat sich mit seiner Vorarbeit zum 1:1 für Ghana einmal mehr unsere Sympathien verdient. Er ist Afrikas bester Fußballer, auch wenn das objektiv nicht stimmen mag.


Buhmann des Tages:

 Andi Herzog, der vom ORF gehypte Co-Trainer von Team-USA. Er hat eigentlich nichts gemacht, aber wenn er dafür vom ORF so gelobt wird, kann er ruhig an dieser Stelle genauso unbegründet Buhmann werden.

Montag, 16. Juni 2014

Verschnaufpause

Ein Schiedsrichter als Held, das Deutsche an der Torlinientechnologie und ein fragwürdiges Argentinien machen den Tag trotz fehlender Knaller interessant.


So eine WM ist ganz schön anstrengend. Abgesehen davon, dass man gezwungen ist, teilweise bis spät in die Nacht hinein fragwürdige Begegnungen zu verfolgen bzw. diese nur zähneknirschend zu versäumen wagt, löst sich schon nach zweieinhalb Spieltagen die ganze Ordnung auf, die man sich vorher im Kopf gemacht hat: Nach drei Tagen weiß man schon nicht mehr, wer in welcher Gruppe spielt, welche Gruppe heute dran ist, geschweige denn wann jetzt welches Spiel stattfindet. Vor dem inneren Auge verschwimmen die Flaggen von Kolumbien, Ecuador und Costa Rica zu einer panamerikanischen Einheitsfahne, man glaubt plötzlich an jeder Ecke Sambatrommeln zu hören, und erst wenn man ORF einschaltet und die unterirdischen Bemühungen der dortigen Akteure sehen muss, die alle irgendwie modern und hip sein wollen, krallt man sich entnervt einen von den vierzehn Spielplänen, die in Fernsehernähe herumliegen, um sich wieder zu ordnen. Ein Tag, an dem in drei Spielen drei Außenseiter zu Werke gehen, eignet sich als Verschnaufpause, die man dringend braucht, vor allem nach diesen atemlosen ersten Stunden der Weltmeisterschaft, die jetzt schon in der Erinnerung zu einem Euphoriebrei zu verschmelzen drohen.

Noch immer umnebelt von der Klassepartie zwischen England und Italien und dem Ärgernis über das Versäumnis des Nachtspiels saß man dann gestern um 18 Uhr vor dem Fernseher, um sich den "Heuler" Schweiz gegen Ecuador anzusehen. Was man da zu sehen bekam war eine irgendwie rumpelnde Schweizer Nati, der wir Österreicher immer neidisch sein können, weil sie aus annähernd gleicher Ausgangsposition so viel mehr zusammengebracht haben als wir.
Dass diese Entwicklung nicht geschenkt ist und harte Arbeit braucht, um weiter vorangetrieben zu werden, und dass es dann auch mal natürliche Grenzen dieser Entwicklung gibt, könnte diese Weltmeisterschaft zeigen. Einen Vorgeschmack bekamen wir im ersten Spiel gegen Ecuador, in dem sich die Schweizer etwas schwerer als erwartet getan haben bzw. Ecuador eine bessere Figur gemacht hat als man ihnen zugetraut hatte.

SUI - ECU 2:1


So gingen die Südamerikaner frech in Führung, was die Schweiz dazu veranlasste, ein bisschen mehr zu rackern, auch wenn nicht immer alles recht zusammenlaufen wollte. Ottmar Hitzfeld brachte in Hälfte 2 Admir Mehmedi und der schoss gleich den Ausgleich. Man sah, dass Ecuador am Limit angelangt war, und sie blieben auch gefährlich. Ein Sieg wäre dann doch eine Überraschung gewesen und mit einem Unentschieden hätten sogar die Schweizer zufrieden sein müssen. Sie gaben sich aber nicht zufrieden und versuchten weiter Druck zu machen. In der Nachspielzeit passierte dann etwas Wunderbares: Behrami wurde im Mittelfeld bei einem letzten Versuch, einen schnellen Vorstoß einzuleiten, gefoult. Weil aber Behrami bereits wieder auf den Beinen war, bevor er überhaupt am Boden lag, entschied Schiedsrichter Rawschan Irmatov auf Vorteil und ließ das Spiel laufen. Behrami gab den Ball ab und drei Sekunden später zappelte der bereits im Netz: Haris Seferovic traf für die Schweizer zum 2:1 Endstand.

Bei aller Diskussion über Schiedsrichter-Fehlentscheidungen muss man hier den usbekischen Schiri loben, der die Situation blitzschnell erfasst und richtig bewertet hat. Die schweizer Schiedsrichter-Legende Urs Meier (Analyst für das deutsche Fernsehen) zeigte sich nach dem Spiel geradezu exaltiert: Auf die Vorteil-Entscheidung angesprochen sprach Meier von einer geradezu genialen Aktion, von einem "Vorteil wie Weihnachten und Ostern zusammen". Es ist selten, dass Schiedsrichter mit besonders guten Entscheidungen beeindrucken, aber Irmatov hat da gestern Tolles geleistet und ganz nebenbei der Schweiz den Sieg ermöglicht.

FRA - HON 3:0


Das Spiel Frankreich gegen Honduras stand unter keinem guten Stern. So nahmen die Spieler für die Nationalhymnen Aufstellung, warteten und auf einmal begannen die Honduraner, die französische Equipe für den Pre-Match-Handshake abzulaufen. Der ZDF-Kommentator meinte zunächst, es handle sich dabei um ein Missverständnis der Honduraner. "Die wissen wohl nicht über den Ablauf Bescheid!", dachte er sich als typischer Deutscher vermutlich. In Wahrheit aber war die Tonanlage des Stadions ausgefallen und das Match musste ohne Hymnen losgehen. Tragisch vor allem für die Franzosen, denn ohne Marsellaise geht da normalerweise gar nichts. Glücklicherweise hieß der Gegner Honduras und nicht etwa England!

Das Spiel war dann die erwartet ruppige Partie seitens der Honduraner. Schlimm, wenn man als Mannschaft, die sich berechtigte Hoffnungen auf die KO-Phase macht, ein Match gegen solche Rüpel nicht nur heil überstehen, sondern auch gewinnen muss. Frankreich aber meisterte diese Aufgabe mehr oder weniger gelassen. Und wir freuten uns über den ersten Einsatz der Torlinien-Technik, die ein Tor gab, das aus vier von fünf Kamerawinkeln nicht als solches zu erkennen war. Mehrmals wurde in der Folge darauf hingewiesen, dass diese Technik aus Deutschland stamme. Denn obwohl wir nun endlich diese Technologie haben, fangen jetzt wieder die ersten an zu behaupten, die Diskussionen würden trotzdem nicht ausbleiben, weil es immer noch welche gibt, die daheim vor dem Fernseher sitzen und zwischen zwei Bierrülpsern behaupten könnten "Für mich war der nicht drin!". War er aber! Weil die Technologie das gesagt hat. Und weil die aus Deutschland kommt! Käme sie nämlich aus Burundi oder Palau, dann würde man ernsthafte Zweifel anmelden können. So aber nicht! Deutsche Technologie ist unfehlbarer als der argentinische Papst!

ARG - BIH 2:1


Dann spätabends der von vielen herbeigesehnte erste Auftritt der Albiceleste. Das große, nominell so außergewöhnlich besetzte Argentinien, dem von vielen im Vorfeld als einzige aller Mannschaften zugetraut wurde, den sicheren Titel für Brasilien verhindern zu können. Am besten im Finale. Und am besten im Maracana. Aber Argentiniens Auftritt gegen WM-Neuling Bosnien war gestern alles andere als glamourös. Er war eher desaströs und peinlich, vor allem in der ersten Hälfte. Dass Argentiniens Teamchef Sabella seine Mannschaft mit fünf Defensiven auflaufen ließ, und so zum Beispiel Higuain und Gago auf der Bank ließ, war eigentlich nur als Scherz verstehbar. Solcherlei Scherze traute man vor vier Jahren nur Ex-Teamchef Diego Maradona zu. Aber gegen Bosnien mit 5 Mann hinten - bei dieser Offensivqualität?

Vielleicht war es deshalb, dass Messi vollkommen neben sich stand. Der Floh, der im argentinischen Nationaldress bei einer WM noch nie wirklich überzeugen konnte, steht auch diesmal unter enormen Druck. Weil das argentinische Spiel auf ihn ausgerichtet ist und so auch auseinanderfällt, wenn er die Leistung nicht erbringt. Das ist eigentlich ein Ansatz, der zum Scheitern verurteilt ist, vor allem, weil Argentinien es bei der Qualität seines Kaders nicht nötig hätte.
Messi lief gestern in Hälfte eins vielleicht sogar weniger als vorgestern Andrea Pirlo. Nur, dass Pirlo eben dafür da ist, die anderen laufen zu lassen. Die Argentinier kamen glücklich zu einem frühen Tor. In der zweiten Halbzeit vergab Messi zuerst einen Freistoß kläglich und machte dann wenige Minuten später das, wofür er bekannt ist. Und er feierte seien Treffer zum 2:0 wie er sonst selten ein Tor feiert. Es muss ihm eine Last von den Schultern gefallen sein! Wir können es nur hoffen, denn es wäre wirklich schade, wenn so ein Fußballer im Nationalteam unerfolgreich bleiben würde.

Ich bin mir nur nicht sicher, ob ein Treffer gegen Bosnien die erhoffte erlösende Wirkung hat und Messi jetzt den Fluch, der auf ihn zu lasten scheint, wirklich abschütteln kann. Dass das Tor trotzdem wichtig war, bekam ich nur noch mit, als ich, bereits im Bett liegend, Jubelschreie aus dem nahegelegenen bosnischen Lokal hörte, das noch vor wenigen Tagen ein kroatisches Lokal war, aber eigentlich von Albanern geführt wird. Es ist ja doch irgendwie alles eins...
2:1 ist für argentinische Verhältnisse schwach, aber man ist mit 3 Punkten ins Turnier gestartet. Wenn man von den taktischen Blödsinnigkeiten was lernt und Messi sich wirklich noch steigert, dann wird man vielleicht an die hohen Erwartungen heranreichen. Momentan aber sehe ich Argentinien nicht im Finale.


Held des Tages:
Weil sonst immer die Scheidsrichter die Buhmänner sein müssen, steht hier jetzt stolz und zu Recht der Usbeke Rawschan Irmatov mit seinem "Vorteil wie Weihnachten und Ostern zusammen".

Buhmann des Tages:
Alejandro Sabella, der argentinische Trainer. Er hat mit seiner Startaufstellung das falsche Signal gesendet. An die Fans, an die Mannschaft, an die Bosnier, vor allem aber an Lionel Messi, der im riesigen Maracana-Stadion tatsächlich klein wie ein Floh wirkte.