Sonntag, 22. Juni 2014

Ein Dreiviertel-Salto

Es geht sich immer wieder gerade noch aus für die Deutschen. Die Verfallserscheinung lässt sich aber bereits an Kloses Salto ablesen.


Es war das erwartet schwierige Spiel für Deutschland. Denn obwohl es nach dem 4:0 gegen Portugal fast niemand wahrhaben wollte: Die Deutschen sind noch nicht da, wo sie hin müssen, wenn sie Weltmeister werden wollen. Ghana hingegen spielt am Limit, das die Mannschaft immer ein bisschen nach zu setzen versteht, wenn Weltmeisterschaft ist. Ghana spielt wild, unermüdlich, passioniert. Man sehe sich nur Asamoah Gyan an, den Taktgeber Ghanas, den Torjäger, der in jeder Sekunde des Spiels 100% da ist. Kein Einwurf ist ihm unbedeutend genug, um auch nur eine Sekunde die Konzentration ein halbes Prozent herunterzufahren. Oder man betrachte den knallharten Muntari, der unbarmherzig mit den Gegenspielern ins Gericht geht; und der deswegen bzw. wegen zweier gelber Karten, die ihm diese Spielweise eingebracht hat, im entscheidenden Spiel gegen die USA fehlen wird.

Die Mängel im deutschen Spiel betreffen vor allem Philip Lahms neue Rolle im Mittelfeld, mit der er sich auch im zweiten Spiel noch nicht ganz anfreunden konnte. Sie betreffen die Vierer-Abwehrkette, die zwar im Schnitt wahrscheinlich die größte der Welt ist (Flanken und Kopftore dürften gegen Deutschland eigentlich nicht möglich sein), die aber in der Vorwärtsbewegung allzu klotzig wirkt. Allerdings sind das alles Dinge, die nicht so sehr ins Gewicht fallen, wenn man den Ruf hat, eine "Turniermannschaft" zu sein. Eine Mannschaft, die sich im entscheidenden Moment durchwurstelt, wenn es um alles geht. Eine Mannschaft auch, die über "Spezialkräfte" von Weltformat verfügt (O-Ton Löw). Eine solche Spezialkraft ist etwa der nun alleinige Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft: Miroslav Klose.

Es ist nämlich mit Deutschland so: Sie liegen ein Tor hinten gegen eine Mannschaft wie Ghana, und du weißt, dass das für Ghana nicht reichen wird. Selbst wenn Ghana zwei Tore Vorsprung gehabt hätte, wüsstest du: Wenn jetzt der Klose kommt, dann macht der drei Tore. Ich hab die Einwechslung Kloses übersehen und dachte doch die ganze Zeit an ihn. Sah es schon vor mir, wie er bei einem Eckball wie aus dem Nichts auftaucht, den Ball ins Tor köpft und dann seinen Salto macht. Und ich sah ihn den Fuß hinhalten im richtigen Moment, den Finger in den Himmel strecken und seine Mitspieler auf ihn stürzen, weil er Deutschland gerade den sicheren Sieg gebracht hat. Ich sah schon die Bildzeitung von morgen. Wenn nur dieser Klose kommt, dachte ich mir, ist alles vorbei!

Dabei stand er zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Feld, und ich sah ihn nur nicht. Ein paar Minuten später sah ich ihn dann: Er hielt den Fuß hin, der Ball fiel ins Netz und Miro machte seinen Salto, schaffte aber nur eine Dreiviertel-Drehung. Verfallserscheinung hin oder her - er hat es wieder mal gemacht und hat jetzt sogar Gerd Müller überholt. Der große Klose - der Abstauberkönig überholt den Abstauberkönig. Er muss aber nach dieser WM aufhören, sonst bleibt er bei der nächsten EM während seines Saltos kopfüber in der Luft stehen. Das wäre ein furchtbares Karriereende. Obwohl ich ihn nicht mag und er mich nie ob seiner Fertigkeiten begeistern konnte, bleibt am Ende doch der Satz stehen: Was für ein Klasse-Stürmer!

Der Mannschaft von Ghana muss man gratulieren, dass sie nach dem 0:1 nicht zerbröselt ist. Denn so ergeht es vielen Mannschaften gegen Deutschland - nicht nur Portugal. Gratulation auch, dass sie nach dem 2:2 nicht noch ein Tor bekommen haben. So ergeht es nämlich auch vielen. Vor allem, wenn Klose kommt, denn wenn der eingewechselt wird, möchte er sich auf die Bild-Titelseite schießen.
Und dieser Götze? Ein Kind im Grunde. Sein Tor war symptomatisch: Er trifft den Ball nicht richtig mit dem Kopf, hat aber das Glück, dass ihm das Spielgerät just auf das gebeugte Knie und von dort ins Tor springt. Ein Un-Tor eigentlich. Ein Nicht-Tor als Tor. Zufall, ohne den bekanntlich beim Fußball nichts geht. And what about Müller? Ist der große Hurra-Müller schon nach dem zweiten Spiel Geschichte? Nein, denn im Grunde hat er gestern die bessere Partie gespielt, tritt jetzt als Triebkraft im deutschen Angriffsspiel auf. Da muss der Nachname nicht zum Verb werden, aber Müller hat sich zum eigentlichen Leader gemüllert (Führer darf man ja hier nicht sagen) - zumindest gilt das so lange, bis es Schweinsteigert, dessen Auftreten der Mannschaft immer noch ein bisschen Voodoo-Kraft a la Drogba gibt.

Ein arges Ding für Ghana war das, obwohl sie natürlich gerne den Punkt mitnehmen. Das ärgere Ding war nämlich das Spiel gegen die USA. Und das Abschlussspiel gegen Portugal wird nochmal ein ärgeres Ding, da geht es nämlich dann wieder um alles. In der Gruppe G geht es jetzt sowieso immer um alles. So auch heute Nacht, wenn die US-Amerikaner gegen die seltsamen Portugiesen spielen. Vielleicht gibt uns die WM mit diesem ein weiteres Rätsel auf. Bis dahin müssen wir die Spiel der langweiligen Belgien-Gruppe erdulden. Der Super-Ober-Geheimfavorit muss heute seiner Rolle gegen Russland gerecht werden. Ob er das schafft? Mir eigentlich egal, ich werde da noch immer mit der Gruppe G beschäftigt sein...


Held des Tages:
Asamoah Gyan mit seinem schönen Tor zum 2:1. Wer weiß, wie lang er uns noch erhalten bleibt.

Buhmann des Tages:
Mario Götze, den ich jetzt schon nicht mehr sehen kann. Mit seinem Un-Tor, das so gar nicht zu dieser WM passen will.

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