Samstag, 21. Juni 2014

Die Unwägbarkeiten eines Turniers

Wer dachte, die WM wird nach der ersten Runde in die bequemen Gefilde durchschnittlicher Unterhaltung zurückfallen, der hat sich geschnitten. Eigentlich wird's immer besser.


Auf nichts kann man sich verlassen bei dieser WM! Nicht mal auf Italien, und so lässt uns ein weiterer "Großer" nach Spiel zwei ein wenig ratlos zurück. Wie schon Brasilien, wie schon England, Spanien, Holland und Uruguay. Wir kratzen uns am Kopf und wissen nicht, wem wir als nächstem unser volles Vertrauen schenken sollen. Auf das Argentinien-Spiel warten wir noch, auf Deutschland eh auch. Und ehe wir uns versehen, kommen auf einmal die Franzosen daher und stehen nach zwei Spielen mit drei Punkten und einem Torverhältnis von 8:2 da. Aber alles der Reihe nach...

CRC - ITA 1:0


Tatsächlich haben die Ticos das eigentlich Unmögliche geschafft und stehen nach zwei Spielen als Sieger der im Vorhinein als sehr schwierig eingeschätzten Gruppe D fest. Bitte was? Costa Rica? Gegen drei Ex-Weltmeister? Gegen das grundsolide Italien, das neu erstarkte England und den WM-Vierten von Südafrika? Wer darauf gewettet hat, dem sei gratuliert, denn das hätten sich die Costa Ricaner wohl selbst nicht zugetraut.
Mehr als ich über die Ticos verwundert bin, bin ich von den Itakern enttäuscht. Zuerst habe ich mich gefreut, weil der im ersten Spiel eine so unglückliche Figur machende Paletta nicht dabei war. Dass sich Italien aber dann so steif und klobig präsentieren würde, war doch überraschend. Vielleicht war es der Schiss, gegen die furchtlosen Costa Ricaner zu viel zu riskieren?

Die "kleinen Teams", gegen die man technisch nicht auf Augenhöhe spielen kann, gegen die man sich aber taktisch einiges überlegen muss, und die am Ende immer den psychologischen Vorteil haben, das sind die vorläufigen Gewinner dieser WM. Das ist erstmal schön und gut so.
Die "Großen" aber wachsen mit ihren Aufgaben und spielen ihren besten Fußball immer dann, wenn es gegen die gefährlichsten Gegner geht und das Spiel am wichtigsten ist. Diesem Druck der Okkasion können am Ende Teams wie Costa Rica oder Kolumbien nicht standhalten. Das behaupte ich jetzt trotz des Wissens, dass es bei dieser WM noch jedes Mal anders gekommen ist als erwartet!

Die Gruppe D allerdings wird noch spannend. England ist einmal draußen, aber wer folgt Costa Rica ins Achtelfinale? Im direkten Duell, das ein praktisches Sechzehntelfinale ist, stehen sich jetzt zwei Teams gegenüber, die in zwei Spielen völlig unterschiedliche Seiten gezeigt haben: Uruguay und Italien. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass die Entscheidung um den Achtelfinalplatz etwas mit den Namen Balotelli und Suarez zu tun haben wird. Somit hat das Spiel jetzt schon einen bitteren Beigeschmack; es schmeckt ein wenig schandhaft und gefährlich. Wie die Luft vor einem Gewitter. Wie jener italienische Aperitiv, der den Namen Pirlo trägt. Ich behaupte: Das wird ein Knaller!


FRA - SUI 5:2


Interessant, wenn man sich die Statistiken zu diesem Spiel anschaut: Frankreich hatte weniger Ballbesitz, was nach der Überwindung von Tikitaka tendenziell als ein gutes Zeichen zu werten ist (s. Salzburg, s. Holland). Denn schließlich kommt es darauf an, was man mit dem Ball macht, wenn man ihn erstmal hat; ob man ihn in den eigenen Reihen herumschiebt, oder den Zug zum Tor sucht. Den suchte Frankreich, und während sich "Les Bleus" auf eine erfolgreiche WM-Kampagne eingroovten, wurde der Schweizer Stern engültig in der französischen Offensivmaschine zerrieben. Dabei schossen die Franzosen nur 5 Mal öfter als die Schweizer, dafür doppelt so oft aufs Tor. Das zeigt, dass die Schweiz oft nur aus Verlegenheit den Ball Richtung Tor holzten - ein Beweis auch für die funktionierende Defensivleistung der Franzosen. Die beiden Tore für die Schweiz fielen ja erst in den letzten 10 Minuten des Spiels, wo eh schon alles wurscht war.

5 Tore von 5 verschiedenen Spielern - auch das sind immer gute Nachrichten, denn es zeigt, dass Frankreich nicht von einem Benzema abhängig ist, obwohl dieser seine gute Form aus der Ligasaison in die WM hinüberretten konnte. War das erste Spiel der Blauen noch nicht aussagekräftig genug, weil es gegen den Gruppenaußenseiter Honduras ging, wird sich die wahre Größe der Franzosen kurioserweise im letzten Gruppenspiel gegen Ecuador zeigen. Da greift nämlich jener Effekt, den ich oben beschrieben habe. Frankreich hat sich nämlich nach nur zwei Spielen rehabilitiert und weiß sich jetzt wieder dort, wo es lange gewesen ist: Inmitten der großen europäischen Fußballnationen. Vielleicht ein bisschen hinter Deutschland, aber wie es momentan aussieht neben Italien und Holland, und sogar noch über England und Spanien. Ein schöner Platz ist das - jetzt nur nicht nervös werden!



Held des Tages:
Bryan Ruiz, der mit seinem Treffer gegen Italien nicht nur seiner eigenen Nation einen schönen Tag bescherte, sondern einer anderen (England) gleichzeitig das fixe WM-Aus garantierte. UND: Wir bekamen wieder mal ein bisschen Torlinientechnologie aus Deutschland zu sehen! Viel mehr kann man mit einem Tor nicht erreichen!

Buhmann des Tages:
Cassano, von dem ich dachte, Italien käme ganz ohne ihn aus. Er steht für die schmutzige Berlusconi-Ära. Eine zwielichtige und grausame Figur, nicht nur optisch sondern auch menschlich!

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