Samstag, 14. Juni 2014

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer

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Fußball am Schirm, Bier im Schädel und Hoffnung im Herzen: Es ist Weltmeisterschaft. Und wie!


Jetzt haben wir unseren ersten ganz großen Knüller! Niemand hat es erwartet, aber es ist doch so gekommen. Es ist der Anfang einer ganz großen Geschichte und zugleich der Beginn vom Ende einer anderen großen Geschichte: Mexiko besiegt Kamerun! Wer hätte das gedacht? ... Ach so, das war nicht die große Sensation? Da war noch was anderes? Immer schön der Reihe nach!

MEX - CAM 1:0


Die vom Pech verfolgten Mexikaner schienen zunächst vom Pech verfolgt zu bleiben. Immerhin mussten sie drei Tore schießen, um eines zugesprochen zu bekommen. Es ist eben eine WM, bei der die weltbesten Fußballer gegen mittel- bis unterklassige Schiedsrichter spielen. Aber da jammern nie was hilft, und die Mexikaner das wissen, haben sie einfach weitergespielt. Und sie wurden mit einem Sieg belohnt, der Traum vom Aufstieg lebt, und vor Spanien im Achtelfinale muss man sich jetzt auch noch nicht arg fürchten.

Kamerun ist eine seltsame Mannschaft. Eine Ansammlung von wirklich guten Fußballern, bei denen aber am und abseits des Platzes nie wirklich viel zusammenläuft. Da werden Badewannen voller Potenzial ins Meer gekippt. An der Seitenlinie steht ein deutscher Trainer, der als Afrikaner-Versteher gilt. Trotzdem sieht er im Sturzregen von Natal aus wie Adolf Hitler im April '45. Hilf-, glück- und freudloses Kamerun - wir können die 30 Jahre alten Bilder vom tanzenden Roger Milla nicht mehr sehen! Reiß' dich zusammen und zeig uns dein Herz! "Beherzt" nämlich nennt man Auftritte vermeintlicher Kleinmannschaften wie Mexiko. Mexiko war auch beherzt. Kamerun hingegen wirkte vom Regen genervt und lustlos.


ESP - NED 1:5


Fast wär mir beim Tippen des Fünfers nochmal eine Freudenträne auf die Tastatur getropft. Ich kann es heute immer noch nicht glauben, was ich da gestern gesehen habe! Das war wie Holland 2008 - ein lustvolles, aufregendes Spiel, eines, das Laune machte. Nicht nur bei Holland-Fans, sondern auch bei allen anderen (außer den spanischen versteht sich). Man ahnte erst Böses, als Schiedsrichter Rizzoli Spanien einen Strafstoß schenkte, dachte, es sei nun das dritte Spiel mit der dritten folgenschweren Fehlentscheidung bei dieser WM. Dann kam aber alles anders, denn dann kam Robin van Persie und dieser Robin flog, er flog wie ein Vogel, wie eine Schwalbe, einem Ball entgegen, und der flog dann über Iker Casillas hinweg ins Tor und es stand 1:1 und man wusste: So schnell ist das heute nicht vorbei!

Großartig agierten Snijder und Robben im Mittelfeld, und was der unglaubliche Daley Blind über die linke Seite bringt, das erinnert an die Zeiten von Gio van Bronckhorst, dem letzten großen auf dieser Position. Unschlagbar ist aber Holland nicht, auch das hat man gesehen. Das waren sie auch nie und das war und ist der Reiz dieser Mannschaft: Das Taumeln zwischen Genie und Wahnsinn, das Heiß-kalt-Spiel, das nichts für schwache Nerven ist. Hollands Überdrüber-Fußball ist nie ohne Angst vor der Katastrophe zu haben. Deswegen taugt Oranje als Objekt der Leidenschaft so viel mehr als Spanien, Deutschland oder auch Brasilien. Hollands Spiel ist unabgeschlossen, löchrig, es lebt vom Momentum, von der Befindlichkeit der Mannschaft und auch von dem, was der Gegner zulässt. Es ist aufregend in jeder Hinsicht!

Was aber war das für ein Spanien? Denn wenn wir uns ehrlich sind, hat Holland aus spanischer Sicht da kein großartiges Spiel aufgezogen. Es waren immer nur lange Bälle nach vorne oder Flanken von der Seite - nichts Unausrechenbares, nichts, gegen das man nichts unternehmen könnte. Die Furia Roja wankt, ist angezählt. Gefallen ist sie noch lange nicht... Aber vielleicht lässt sich das Spiel besser als ein denkwürdiger Moment verstehen. Der Moment, als sich Holland für das verlorene Finale revanchierte und mit einem 5:1 den langsamen Niedergang des unglaublichen spanischen Fußballwunders einläutete.

Denn was uns bei aller Euphorie auch klar sein muss: Wer Holland jetzt als Weltmeister handelt, hat 2008 nicht zugeschaut. Und am besten fasst die Situation sowieso Robin van Persie selbst zusammen, wenn er sagt: "Es ist einfach unglaublich, unerklärlich, unbeschreiblich. Das ist ein Traum für unser ganzes Land. Aber es sind auch nur drei Punkte, das ist die Realität."
Wichtig ist aber: Holland ist aufgewacht, traut sich wieder was zu, wird wieder von der Begeisterung getragen. Das braucht diese Mannschaft, das braucht diese WM!

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Gestern habe ich geschrieben: Wenn es so weitergeht, dann Prost Mahlzeit! Und es ist so weitergegangen, die WM hat auch am zweiten Tag gehalten, was das Eröffnungsspiel versprochen hat: Drama, Emotion und Überraschung. Holland und Chile stehen jeweils mit 3 Punkten da, über Spanien staunt die ganze Welt. Mexiko hat gegen Wasser und Willkür gekämpft und gewonnen. Und im Nachtspiel haben die Australier gegen Chile gezeigt, dass sie auch technisch und taktisch überlegenen Mannschaften unangenehm werden können. Vorsicht Holland, Vorsicht Spanien!

4 Spiele liegen hinter uns, noch kein Unentschieden, noch kein torloses. Und heute Nacht spielt Italien gegen England - Fußballherz, was willst du mehr?



Held des Tages:

Da nehme ich Robin van Persie, denn er hat zwei Tore gemacht, wovon das erste von der Marke "Traumtor" war. Arjen Robben in Ehren, aber ich halte ihn immer noch für einen grausigen Egoisten, und kann seinem Verhalten auf dem Platz einfach nichts abgewinnen. Fußballerisch ist das natürlich eine andere Geschichte...


Buhmann des Tages:

Wenn ich jetzt jedes Mal den Schiedsrichter (oder einen Schiedsrichter) nehme, wird's fad. Also entscheide ich mich für Samuel Eto'o stellvertretend für Team Kamerun. Eine Szene war symptomatisch: Eto'o fordert einen Eckball, bekommt ihn aber nicht. Nicht, dass Eto'o der einzige Fußballer der Welt wäre, der bei einem Schiedsrichter irgendwas einfordert; schließlich ist das Teil des fußballerischen Theaterapparates. Aber bei ihm wirkt es tatsächlich so, als erwarte er, dass ihm der Schiedsrichter gehorcht. Das ist echt zu viel verlangt, lieber Samuel!


Tragischer Held des Tages:

Giovani Dos Santos hat zwei Tore geschossen, aber nirgendwo wird er als Torschütze aufscheinen. Nie wird er seinen Enkeln erzählen können, dass er während der WM für ein paar Stunden mit dem großen Neymar gleichziehen konnte und gemeinsam mit ihm auf Platz eins der Torschützenliste gestanden hat. Denn seine beiden Tore wurden zu Unrecht aberkannt. Er kann sich nur damit trösten, dass Mexiko trotzdem gewonnen hat. Trotz seiner beiden Tore, die nicht in die WM-Annalen eingehen.

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