Donnerstag, 19. Juni 2014

Das Glück, der Zufall und die Dummheit

Fußball ohne Zufall - das wäre reine Rechnerei. Und wer das Glück hat, hat dies immer auch zu rechtfertigen.


Das Glück, das haben immer die Dummen oder die Tüchtigen. Darauf kann sich der Volksmund noch nicht so recht einigen. Gestern hatten alle ein bisschen Glück und stellten sich dabei mal dumm, mal
tüchtig an. Also gibt auch der Fußball keine Antwort darauf, ob jetzt die Tüchtigen oder die Dummen die wirklich Glücklichen sind. Früher war es einfacher, da hatten im Fußball das Glück immer die Deutschen. Ob aus Dummheit oder Tüchtigkeit - darüber scheiden sich die Geister.

NED - AUS 3:2


Fast hätte ich jetzt 2:3 geschrieben, und bin da gar nicht so weit entfernt. Letztlich wäre auch ein 2:2, ein 4:2, ein 2:4 oder ein 3:3 möglich gewesen. Ja, es ist immer alles möglich. Aber so möglich wie gestern alles Denkbare war... Es hätte genauso gut sein können, dass ein Vogel dem Schiri ins Auge kackt und das Spiel abgebrochen werden muss und dann von zwei Fans im Elferschießen entschieden wird. Ok, da hätte das Fifa-Reglement vielleicht was dagegen, aber gerade das Fifa-Reglement löst den Wahlspruch der österreichischen Lotterien immer am besten ein: Alles ist möglich!

Holland also nach dem furiosen Auftritt gegen den nun schon fix Ex-Weltmeister Spanien mit der erwartet schweren Aufgabe gegen Australien: Schwer, weil die Erwartungen hoch waren; schwer aber auch, weil man schon im ersten Spiel sehen konnte, dass Australien Kampfgeist und Disziplin besitzt, zwei Attribute, die es jedem "Großen" schwer machen. Dass Holland - wie Argentinien in seinem ersten Spiel - mit fünf Defensiven auflief, war dumm. Und Dummheit wird im Fußball selten belohnt. Es gibt aber Ausnahmen, und deswegen machte Holland nach langem Schweinskick wie aus dem Nichts ein Tor. Ungerecht, weil eigentlich unverdient war diese Führung, und das dachten sich sicher auch die Australier. Also machten sie postwendend den Ausgleich, auf holländische Art: Flanke von hinten, Tor  - so einfach ist das. 1:1, also eigentlich wieder 0:0.

So unerklärlich dieses Ausgleichstor war, so schön war es auch. Und eigentlich wars irgendwo auch Zufall. Schon die Flanke von Ryan McGowan fand mehr oder weniger glücklich den Fuß von Cahill. Ausgesehen hat es wie einstudiert - und muss doch, bedenkt man die fußballerische Klasse Australiens, eigentlich Zufall gewesen sein. Zufällig, aber gerecht! Weil das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Zufall, Glück und Gerechtigkeit sind ja aus dem Fußball nicht wegzudenken, obwohl sie mit dem Spiel an sich nichts zu tun haben. Sie sind da und nehmen Einfluss, obwohl man nie genau sagen kann, wie.
Die erste Halbzeit brachte jedenfalls spielerisch nichts, und doch stand am Ende ein 1:1 da.

In der zweiten Halbzeit hatte Holland einen anderen Plan. Louis van Gaal dachte sich, dass es vielleicht doch nicht so fesch ist, gegen einen Underdog feig ein Nicht-Spiel aufzuziehen und auf zufällige Treffer zu hoffen. Aber da hatten auch schon die Australier Glück und bekamen einen Elfer zugesprochen, der keiner war. Ungerecht! Aber auch wieder irgendwie gerecht, weil man sich den Führungstreffer doch verdient hatte. Die Tüchtigen eben... Nur, dass man auch wissen muss, dass das Glück ein Vogerl ist! Und kaum hatte man sich die Führung schenken lassen, musste man van Persie dabei zusehen, wie er dem Glück den Vogel zeigt und zum 2:2 ausgleicht. Perdauz!, dachte sich der Fußball-Fan, wie mag das wohl weitergehen?

Man hätte es bei einem 2:2 bewenden lassen, oder sich auf ein 3:3 einigen können. Stattdessen schenkt der Zufall Holland ein weiteres Tor. Einen halbherzigen Weitschuss von Memphis Depay vermochte der australische Keeper nicht zu halten und so stand es in der 68. Minute auf einmal 3:2. Dann ging es noch ein paar Minuten hin und her und als jemand, der diesem fußballerischen Wahnsinn bis jetzt zugesehen hat, wusste man, dass hier noch alles passieren kann. Schließlich ließen aber die Konditionsreserven der Australier nach und Niederlande spielte seinen zweiten Sieg nach Hause. Jetzt steht man fix im Achtelfinale mit zwei Siegen - vor sich ein Spiel um den ersten Gruppenplatz, um vielleicht Brasilien umgehen zu können. Wie das gegangen ist, weiß man nicht so recht.

Weil aber die Gruppe A nicht ohne die Gruppe B gedacht werden darf und umgekehrt, könnte man sowohl mit einem ersten als auch mit einem zweiten Platz auf die äußerst unangenehmen Kroaten treffen, die im ersten Spiel dem Titelfavoriten Brasilien das Leben schwer gemacht haben, und die sich gestern mit einem 4:0-Sieg gegen das desolate Kamerun richtig viel Selbstvertrauen für das letzte Spiel gegen Mexiko geholt haben. Überhaupt sind sowohl Brasilien als auch Mexiko unangenehme Achtelfinalgegner - und die Kroaten sowieso! Wie es derzeit aussieht, würde sich Holland vielleicht sogar gegen Brasilien leichter tun als gegen Kroatien. Vielleicht geht es im letzten Gruppenspiel ja auch darum, zu verlieren, um dem unangenehmeren Gegner zu entgehen. Wer das sein wird, steht freilich erst nach dem letzten Spiel der Gruppe A fest. Das ist spannend, und da ist noch viel Platz für Zufälle und Glück. Und auch für Dummheiten.


ESP - CHI 0:2


König Juan Carlos dankt ab, und auch die Furia Roja scheint Geschichte zu sein. An einem Punkt dachte ich mir: "Spanien liegt 0:1 hinten und Xavi sitzt auf der Ersatz-Bank", und da wusste ich, dass dies das sicherere Zeichen für den spanischen Untergang war als die 1:5 Niederlage gegen Holland letzte Woche. Chile hat gezeigt, dass sie den Erwartungen, die nach der letzten WM in sie gesetzt wurden, doch gerecht werden können (auch wenn dies vor dieser WM wieder keiner geglaubt hätte). Spanien hingegen ist raus. Ende, vorbei. Schlusspunkt im ehrwürdigen Maracana-Stadion. Am traurigsten ist, dass sie noch ein Spiel zu bestreiten haben - ein völlig überflüssiges gegen Australien, das sie nicht einmal verlieren dürfen. Wir verabschieden uns von diesem beeindruckenden Spanien, das die letzten Jahre den Fußball geprägt hat wie kein anderes Land; das zwei Mal Europa- und einmal Weltmeister geworden ist; das uns mit seinem Tiki-Taka zuerst verzaubert, und dann ganz schön genervt hat. Schön, dass wir das alles erleben durften! Danke Xavi, danke Iniesta, Puyol, Alonso, Casillas, Ramos, Pique und wie sie alle heißen! Man kann ihnen nur wünschen, dass sie beim nächsten Mal wieder zum engen Favoritenkreis zählen werden und nicht in die talentierte Mittelklasse abrutschen, wo sie vorher so lang gewesen sind.


Held des Tages:

Der Andre Agassi des Fußballs, Chiles Trainer Jorge Sampaoli. Keiner ist hemdsärmeliger als er, und schlauer sind auch nicht viele.


Buhmann des Tages:

Louis van Gaal für die erste Halbzeit seiner Mannschaft. Ein totaler, grauenhafter Irrweg, der Anklänge an Rehakles hatte. Mit Halbzeit zwei hat er den Kopf aus der Schlinge gezogen, aber ohne dem Glück der Dummen hätte es schlecht ausgesehen!

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