Donnerstag, 8. Juli 2010

Die Stille vor dem Finale

Das eklige Vieh hat‘s doch tatsächlich wieder gewusst. Gott sei Dank haben wir jetzt Ruhe von dem Oktopus und Stille vor dem Finale!


Es ist still. So still wie auf den Autobahnen gestern abend in Deutschland um 20.30 Uhr. Die WM ist vorbei. Keine Vuvuzelas, keine Schlander, keine tanzenden Afrikaner und keine Sambaklänge mehr. Auch Maradona hat ausgeweint, Italien schweigt schon seit Wochen. Die WM ist vorbei. Aus. Alles was bleibt ist ein langweiliges Spiel um Platz drei zwischen Deutschland und Uruguay. Und ein Finale, das uns einen neuen Weltmeister bringen wird. Einen, der noch nie da war und der es verdient hat. Die einen, die Niederländer, weil sie seit den 70ern zur Weltspitze gehören, und die anderen, die Spanier, weil sie gestern so unerbittlich gezeigt haben, wofür die ganze Welt sie bewundert: schönen Fußball, der auch effektiv ist. Die ganz großen Höhepunkte aber sind schon vorbei, wie der Verfasser dieses Blogs es vorausgesagt hat. Möge er sich doch auch in diesem Punkt irren.

Die Holländer gaben sich in ihrer Halbfinalpartie launiger als zuvor. Den Auftakt zur Launigkeit machte Gio van Bronckhorst, der mit seinem unglaublichen Weitschuss vielleicht das Tor der WM erzielt hat. Da schrie das Volk, auch jenes, das weder mit Uruguay noch mit Holland was anfangen kann, denn solche Schüsse ließ die WM bisher vermissen (der Jabulani war's, der eitle Flatterball!). Spektakulär waren bisher höchstens Schiedsrichterentscheidungen, Spielverläufe und verschossene Elfmeter, weniger die Tore. Können wir das nun also auch abhaken.

Spektakulär ging's dann weiter, denn auch Diego Forlán wollte beweisen, weshalb er zu einem der wichtigeren Spieler dieser WM gezählt werden sollte. Auch er drückte unerbittlich ab, auch hier ging der Ball aus großer Entfernung in's Tor, auch wenn hier Stekelenburg noch dran war, aber... Jabulani! Dann wand sich das Spiel ein wenig, so als wollte es nicht gleich in eine Richtung kippen, als wollte es halbfinalwürdig offen bleiben. Das Spiel aber entscheidet nicht selbst - Bert van Marwijk hatte nämlich anderes im Sinn. Also brachte er wieder mal Van der Vaart ("Wenn du dich benimmst, lass ich dich für die zweite Hälfte aufs Feld!", versprach er ihm wohl vor der Pause) für de Zeeuw, der in der ersten Hälfte ohnehin einen Fallrückzieher ins Gesicht bekam - und zwar den Schuh ohne Ball. Holland stellte etwas um, Van der Vaart machte das, was man unaufgeregt einen "solid job" nennen könnte, und Kuyt sah man nicht, weil er immer nur rannte - überall - und sich damit wieder mal zu einem wichtigen, aber übersehenen Spieler machte.

Doch dann kam Uruguay, verlangte nach der Führung, schließlich sei man ja nicht umsonst hier im Halbfinale. Van Bronckhorst klärte einmal allein im eigenen Strafraum und Forlán klopfte nochmal mit einem Freistoß an. Doch dann kam wieder dieser holländische Geist, der zu sprechen schien: "Jetzt langt es aber, wir machen hier mal was." Und so begab es sich, dass in drei Minuten der Sack zu war. Zwei Tore, eines von Sneijder, eines von Robben, sicherten den Niederlande genau jenen Vorsprung, den sie brauchten: 2 Tore, denn ein Gegentor war wohl noch eingeplant und das bekamen sie dann auch. Trotzdem es kurz vor Schluss so aussah, als könnten die Urus vielleicht noch den Ausgleich erzielen, war das Nötigste bereits in Minute 73 mit dem zweiten Treffer erledigt. Bis auf das erste Spiel gegen Dänemark, haben die Niederländer nun jedes Spiel mit einem Tor Unterschied gewonnen. Das erste Spiel wäre ja auch so geplant gewesen, scheiterte dann aber an den Dänen, weil die einfach keines mehr schießen wollten.

Der Fußball sieht heute so aus: Schieß ein Tor mehr als dein Gegner, alles andere ist egal. Nur, dass die Holländer halt gerne antizipieren, weil sie vorher wissen, wie viele Tore der Gegner schießen wird. Nur gegen Brasilien wussten sie es nicht. Da mussten nach einem Tor Rückstand eben zwei Tore her - so einfach war das. Und jetzt sind sie das einzige Team dieses Turniers, das noch kein Spiel verloren hat. Und das einzige, das einen Rückstand aufgeholt und ein Spiel gedreht hat.

Deutschland hingegen hat das gemacht, was Holland vor zwei Jahren gemacht hat: Alle mit spektakulären Ergebnissen gegen teilweise spektakuläre Gegner überraschen, sich in die Herzen der Fußballliebhaber aller Welt spielen und dann ausscheiden, wenn alle schon vom Titel träumen. Ich halte die Deutschen trotzdem für die Überraschung des Turniers. Vielleicht hätten ihnen viele ein Halbfinale zugetraut, aber sicher nicht die Art und Weise, wie sie sich dorthin gespielt haben. Keiner hätte vorhergesagt, dass Klose und Müller dermaßen aufgeigen. Man darf von diesem Team noch viel erwarten und wir freuen uns drauf.

Auch von den Spaniern darf man sich viel erwarten am Sonntag. Zwei große Leistungen dürfen sie nach dem Spiel gegen Deutschland für sich verbuchen: Konsequenten, technisch perfekten und schön anzusehenden Angriffsfußball gespielt zu haben, und dennoch kein Tor bekommen zu haben von diesen Deutschen, die zwar kaum über längere Zeit deutlich Druck machten, aber eben immer auch für ein Tor gut sind - das hat man ja gesehen. Die Verteidigungsleistung der Spanier gegen Ende war im Grunde phänomenal und zeigte: Man kann auch defensiv richtig effektiv spielen, wenn es sein muss. Will man aber eigentlich nicht, weil das nichts Wesentliches im spanischen Fußball ist und auch nicht sein soll.

Die beiden Finalteilnehmer sind also Mannschaften, die Spielwillen zeigen, die einen Plan haben, der ihnen auch meistens aufgeht. Das ergibt, betrachtet man jede Mannschaft für sich, Sinn und war bei keinem Team so stimmig wie bei diesen beiden. Nur, und da kommt jetzt der berühmte Sager von Sartre ins Spiel, wird das ganze eben dann kompliziert, wenn auch die andere Mannschaft mitspielt. Deswegen war das Spanien, das gegen Paraguay antrat ein anderes wie jenes gestern. Und wir sind gespannt, wie die Spanier es gegen die Holländer anlegen und was die Holländer im Schilde führen. Ich denke, sie möchten wieder aufholen. Ob es gegen die Spanier aber dann auch für ein zweites Tor reicht, wird eine Sache des Glücks sein. Und für den Fall der Fälle, ließ van Marwijk schonmal Elfmeter üben...

Wir sind jetzt am Ende einer langen Reise. Es gab Tage, da hing uns die ganze WM schon beim Halse raus, dann kamen die Viertel- und Halbfinalspiele, die uns den Atem stocken ließen, der Rest ist nur noch Draufgabe. Dennoch ließ es sich der Verfasser dieser Zeilen nicht nehmen, einen Flug nach Holland zu buchen, um dort das Finale mitzuerleben - damit es nicht ganz in Vergessenheit gerät. Inzwischen genießen wir die Stille...

Montag, 5. Juli 2010

Deutsche vs. Schlander

Das Grauen trägt den Namen „Schland“.
Warum es mit den Deutschen so schwierig ist und irgendwie doch so einfach.


Gott sei Dank ist irgendwas eingetroffen, was ich im Vorhinein zu prognostizieren wagte. Auf Spekulationen, wer denn Weltmeister werden könnte, hab ich mich ohnehin nicht eingelassen, ich habe Uruguay lediglich als vernachlässigbar in Bezug auf die Frage, wer gewinnen würde, angesehen. Das war, wie bereits eingeräumt, ein herber Irrtum. So herb wie die Niederlage Argentiniens, womit wieder ein Favorit mehr ausgeschieden ist. Und so herb wie mein Geschmack im Mund, wenn ich an Deutschland denk‘.

Denn einerseits ist das natürlich eine hervorragende Mannschaft, die im Grunde genommen den besten Fußball des Turniers gezeigt hat. Auch haben sie eine Menge Spieler, die echt begeistern können, Müller, Özil, Lahm zum Beispiel. Und irgendwie haben es auch die alten Unsympatler wie Schweinsteiger und Klose geschafft, dass ich mich nicht jedes Mal aufregen muss, wenn sie am Ball sind. Meine Freunde sind sie deswegen noch lange nicht, aber ihr Fußball, der macht Laune. Insofern ein verdienter Weltmeister - theoretisch. Praktisch sieht es aber anders aus, denn leider können viele Deutsche mit dem Erfolg ihrer Nationalmannschaft überhaupt nicht umgehen. Ich weiß nicht, was es ist, aber die deutschen Fans bleiben immer noch die beklopptesten und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Sollte also Deutschland Weltmeister werden, dann gönne ich das der Mannschaft und dem Land von ganzem Herzen. Mit den „Schland“-schreienden Fans möchte ich aber dennoch nichts zu tun haben. Mir ist schon klar, dass das nicht alle sind und jeder Deutsche möge mir verzeihen, wird er hier von mir in einen garstigen Eintopf von Vorurteilen geworfen. Aber man muss sich schließlich schützen. Ich zumindest denke darüber nach, die „Deutschen“ von den „Schlandern“ zu unterscheiden.

Gesetzt den Fall, dass Deutschland im Finale auf Holland treffen und das Turnier gewinnen sollte, muss man sich vor allem folgendes vor Augen halten: Ich glaube, dass noch nie eine Mannschaft auf dem Weg zum WM-Titel so viele Hochkaräter aus dem Turnier geschossen hat, wie die Deutschen es bei dieser WM geleistet haben könnten: Wer England, Argentinien, Spanien und Holland aus dem Turnier haut, der hat es mehr als verdient. Nach den zwei Spielen gegen England und Argentinien haben die Deutschen ein Torverhältnis in der KO-Runde von 8:1, was unglaublich ist, vor allem angesichts dieser Gegner. Dieser Gedankengang hat natürlich auch eine andere, pessimistische Seite: Wie wahrscheinlich ist es, gegen alle diese genannten Mannschaften in einem Turnier zu bestehen? Eigentlich recht unwahrscheinlich, andererseits spricht die Höhe der bisherigen Siege natürlich auch wieder für die Deutschen. Dann darf man wiederum nicht vergessen, dass es die gleiche deutsche Mannschaft war, die gegen Serbien gezeigt hat, dass auch nach einem perfekten Auftakt nicht alles automatisch gut laufen muss. D.h. die Deutschen laufen immer noch Gefahr, einen schlechten Tag zu erwischen. Zudem fragt man sich natürlich, wie es sein kann, dass die Argentinier dermaßen untergehen? Experten meinten, die Argentinier hätten das Spiel vercoacht. Mag sein, aber ein 4:0 ist für ein Viertelfinale doch ein hohes Ergebnis, und die Argentinier hatten eigentlich keine wirklichen Chancen auf einen Torerfolg, im Angriff fehlte ihnen jede Organisation. Außerdem ging den Deutschen die Lust auf‘s Tore schießen nicht aus. Man merkte, dass das Team diese WM jetzt richtig genießt.

Jetzt wartet im Halbfinale der Europameister und endlich darf man sich für die recht deutliche Niederlage vor zwei Jahren im Endspiel rächen. Und es sieht nicht schlecht aus. Die Spanier taten sich gegen Paraguay erwartet schwer, von Tiqui Taka war da ganz lange gar nichts zu sehen. Vielleicht stimmt es, dass dieses System bereits durchschaut ist und irgendwie hat man das Gefühl, dass bei Spanien sowieso irgendwas nicht optimal läuft. Xavi und Iniesta blitzen nur noch selten wirklich auf, Torres ist nach wie vor nicht anwesend, auch er leidet unter der Heldenkrankheit, der auch C. Ronaldo und W. Rooney (eigentlich auch L. Messi) zum Opfer gefallen sind.

Aber auch das letzte Spiel im Viertelfinale war geprägt von einigem Aufhüpfen und ungläubigem Geschreie, als zuerst Paraguay einen Elfmeter zugesprochen bekam, der dann zu schlecht geschossen wurde. Merke: Elfmeter die halbrechts unten geschossen werden, sind nicht nur generell nicht zu empfehlen, sondern werden vor allem bei dieser WM besonders oft gehalten (siehe Ghana-Uruguay). Im Gegenangriff dann Gleiches im paraguayanischen Strafraum: Alonso tritt an, trifft souverän, muss aber wiederholen. Was jetzt kam, war eigentlich eh klar. Den wiederholten Elfer konnte er nicht treffen (nicht nur, weil er ihn in besagter nicht zu empfehlender Weise schoss): Er konnte ihn nicht treffen, weil es die Dramatik nicht zuließ. So fanden sich Paraguay und Spanien in einem Match wieder, das sich als ein gefühltes 1:1 besser beschreiben lässt, denn als ein tatsächliches 0:0.

Die Spanier machten dann doch noch das erwartete Tor, doch auch hier musste der Ball erst dreimal die Stange berühren, bevor er sich ins Netz bequemte. Dieses Tor war Sinnbild für den von mir prophezeiten mühevollen Sieg der Spanier, doch letztlich steht die richtige Mannschaft im Halbfinale und wir dürfen beruhigt sein, dass es zu einem Finale Uruguay - Paraguay nicht kommen wird.


So, und was ist denn nun eingetroffen, was ich prognostiziert habe? Ich habe gemeint, dass wir uns vor allem auf die Viertel- und Halbfinalpartien freuen dürfen, weil vorher nichts Großartiges passieren wird und weil auch das Finale meistens fad ist. Das könnte heuer anders werden, denn wenn Holland gegen Deutschland im Finale spielt, wird es zumindest emotional. Aber die Viertelfinalpartien haben gehalten, was von mir versprochen wurde. So viel Dramatik innerhalb von zwei Tagen gab‘s im Fußball wahrscheinlich überhaupt noch nie - zumindest kann ich mich nicht daran erinnern. Wer jetzt noch kein WM-Fan ist, der wird‘s wohl auch nie werden.

Und während sich der Atlantik an der Copa Cabana weiter mit Tränen füllt, während der große Maradona wieder auf seine eigentliche Größe zurückschrumpft, warten wir auf die Semifinalspiele - gespannt, entzückt und jetzt schon glücklich in Vorfreude was da noch kommen mag. (Denkt irgendwer an Spanien vs. Uruguay als Finale?)

Samstag, 3. Juli 2010

Menschliches - Allzumenschliches

Manchmal heißt Voetbal Totaal, dass das Spiel größer ist als seine Akteure. Ein totales Fußballerlebnis war das aber allemal, was wir gestern zu sehen bekamen.


Gott ist tot. Und damit auch seine Hand. Es gibt keine Hand Gottes mehr, denn Suárez' Rettungstat war höchst menschlich - allzumenschlich. Und Asamoah Gyan ist der tragische Held Afrikas, der ewige Elferschütze, einer der wenigen, denen es passiert ist, innerhalb weniger Minuten zwei Elfmeter schießen zu müssen, von denen einer verwertet wurde; leider war's der falsche, der wertlose. Die Gedanken flirren lose herum, wenn man sich an den gestrigen Fußballnachmittag und -abend erinnern will - allzu wirres Geflirre, das man irgendwie aufräumen muss, um zu verstehen, was da gestern passiert ist. Denn es war wohl einer der dramatischsten Fußballtage aller Zeiten.

Anfangen hat alles relativ harmlos am Nachmittag. Ein Spiel zwischen Niederlande und Brasilien, eigentlich so etwas wie ein kleines Finale, von dem viele behaupteten es käme zu früh, was ja ganz eigentlich ein Blödsinn ist, den für Spitzenspiele ist es nie zu früh und das langweilige Endspiel kommt immer früh genug. Dunga also, der Deutsche, gegen Bert van Marwijk, der bei dieser WM seine Mannschaft bisher immer hochdiszipliniert spielen ließ, kein Voetbal Totaal also bei den Holländern, kein Joga Bonito bei den Brasilianern. Aber totaler Fußball war es trotzdem, was wir da zu sehen bekamen. Ein Spiel, das in der ersten Hälfte zu sehr nach Brasilien ausgesehen hat, zu sehr nach einem klaren Sieg des Rekordweltmeisters. Holland ist da zu wenig eingefallen, der neue Abwehrmann Andre Ooijer ist erst irgendwann in Hälfte zwei im Team angekommen und folgerichtig stand es dann 1:0 für die Brasilianer. Und man dachte: Wenn denen jetzt nichts einfällt, dann wird das womöglich ein Kantersieg von Brasilien.

Die Holländer wären aber nicht die Holländer, wenn sie nicht irgendwann hergehen würden und sagen "So, jetzt spielen wir das mal anders", was sie dann in Hälfte zwei auch gemacht haben. Über links ging nicht viel, da war Kuyt zu sehr mit Defensivaufgaben beschäftigt, musste immer wieder auf den nach vorne staubenden Maicon aufpassen, denn hinter ihm hatte Gio van Bronckhorst alle Hände voll mit Dani Alves zu tun hatte, der wiederum hinten auf Kuyt aufpasste etc. Also musste man irgendwie mittig-rechts agieren und da kam von Robben in der ersten Halbzeit einfach zu wenig bzw. wurde der von Melo und Bastos mehr oder weniger aus dem Spiel genommen; auch zu durchsichtig seine vereinzelten Dribbelversuche. In Hälfte zwei allerdings war er aktiver und die Brasilianer wurden undisziplinierter, weshalb Robben ein Foul nach dem anderen herausholte. Das kostete Freistöße, von denen einer bekanntlich zum Torerfolg führte.

Ab dem 1:1 spielte Holland sicherer, lässiger und die Brasilianer wirkten immer zerfahrener und als dann noch das 2:1 fiel, wurde Brasilien nervös - weil sie dann auch einen Mann weniger hatten (Melo hat einmal zu viel gefoult) und es natürlich nicht gewohnt sind, einem Rückstand nachzulaufen. Sneijder traf beim 2:1 mit dem Kopf - das ist Holländisch für Abwehrfehler, denn ein 1,70 Mann darf kein Kopftor schießen, schon gar nicht bei den zwei Recken Lucio und Juan. Wenn man bedenkt, dass auch das 1:1 aus einem Abwehrfehler entstanden ist (Melo und der sonst so gute Julio Cesar konnten sich nicht darauf einigen, wer den Ball hat oder nicht hat). Jedenfalls spielten die Holländer das Spiel nach Hause und schickten den Rekordweltmeister heim. Wenn man die Bilder gesehen hat, wie Menschen in Enschede ganz in Orange vor Freude weinen und wie Brasilianer an der Copa Cabana traurig die Köpfe in den von Tränen nassen Sand stecken, dann weiß man wieder, wie viel dieser seltsame Sport bewegen kann, wie lächerlich glücklich er machen und wie viel Niedergeschlagenheit er mit sich bringen kann.

Nach dem Spiel geht man im Holland-Trikot durch die Straßen und überall lachen einen die Leute ins Gesicht, jeder freute sich mit den Oranjes mit. Ungläubig schüttelten in verschiedenen Lokalen die Leute die Köpfe, fragten einander: "Hast du das Spiel gesehen? Das war ja unglaublich!". Der häufigste Satz war aber vielleicht: "Wer hätte das gedacht?" Ja, wer hätte das gedacht, dass diese ein wenig zu sehr mit Bedacht spielenden Holländer den Brasilianern die Hexa vermasseln, Dungas System für gescheitert erklären und ein ganzes Land in Trauer stürzen? Solche Geschichten schreibt nur eine Weltmeisterschaft. Solche und noch wildere...

Denn das Abendspiel, das Duell zwischen Uruguay und Ghana, schien lange ein relativ uninspirierter Kick zu sein. Außerdem wusste man nicht recht, zu wem man halten sollte. Auf der einen Seite Uruguay, der zweimalige Weltmeister, was aber eigentlich gar nichts zählt, wenn der letzte Titel schon 60 Jahre her ist. Auf der anderen Seite Ghana, die beste und deshalb zurecht letzte im Turnier verbliebene afrikanische Mannschaft. Beides hätte seinen Reiz, beiden hätte man den Einzug ins Halbfinale und das Scheitern an den Niederlanden gegönnt. Aber irgendwie war auch alles egal, nur kam irgendwann die Erkenntnis, dass es sich ja um ein Viertelfinalspiel handelte und es daher einen Sieger geben müsse. Den sollte es aber an diesem Abend nicht geben, auch nicht nach Verlängerung, auch nicht nach Elfmeterschießen.

Gegen Ende des Spiels bäumte sich Ghana noch einmal so richtig auf und man war beeindruckt ob des Kampfgeistes dieser Mannschaft. Auch Uruguay musste sich nicht verstecken, machte aber viele Fehler und man hatte das Gefühl, die Luft ist da schon raus. Man hatte sich schon auf ein Elferschießen eingestellt, sowohl Uruguayer als auch Zuseher. Nur die Ghanaer wollten das noch nicht ganz wahrhaben und versuchten bis zuletzt alles.

Dann waren die 120 Minuten vorbei und es gab noch einen Freistoß, der zu einem Corner führte. Letzte Aktion, da waren wir uns alle sicher. Geht da noch was? Dann hörte man nur noch "uuh" "aah" und "ööh": Zwei, drei Mal schoß Ghana nach dem Eckball auf Tor und jedesmal konnte der Ball noch irgendwie von der Linie gekratzt werden, da mal ein Tormannhandschuh, irgendwo ein Fuß und ganz zum Schluss traf der Kopfball von Adiyiah die Hand von Luis Suárez. Oder? Nein, die Hand von Suárez traf den Ball und zwar ganz absichtlich. Suárez bewahrte mit einem taktischen Torraub sein Team vor dem sicheren Aus! Die Menge schrie, keiner konnte fassen, was da gerade geschieht. Elfmeter für Ghana in der aller aller allerletzten Sekunde! Suárez bekommt natürlich die Rote, aber das ist ihm egal, das ist jedem egal und auf dem Weg in die Kabine bekommt er gerade noch mit, wie Asamoah Gyan, der geübteste und bisher sicherste Elferschütze des Turniers, den Matchpoint, den entscheidenden Strafstoß in den südafrikanischen Nachthimmel schießt. Fassungslosigkeit, Geschrei ringsherum. Kein Mensch weiß ob er lachen oder weinen soll, alle starren nur geschockt auf die Leinwand, sehen das verzweifelte Gesicht Gyans, sehen Suárez, der sich freut wie ein Schulbub, dass seine Wahnsinnsaktion tatsächlich aufgegangen ist - er hat mit seinem Handspiel sein Team im Turnier gehalten. Jetzt gibt es Elfmeterschießen.

"Sowas hab ich noch nie erlebt!", "Was ist denn da los?", "Das ist unglaublich, das ist einfach unglaublich!", die Zuseher sind sichtlich überfordert. Hat Ghana den Sieg verschenkt oder wurde er ihnen gestohlen? War Suárez' Handspiel eine bodenlose Frechheit oder allzu menschlich. Wer hätte den Ball nicht aufgehalten in dieser Situation? In einem Viertelfinale bei der WM, wo es um Sein oder Nichtsein geht? Dann die Frage, was denn jetzt nun sensationeller wäre. Wenn Ghana trotzdem gewinnen würde? Oder wenn Uruguay durch diese Aktion weiterkommt? Nein, jetzt sind alle erstmal für Ghana. Und wer tritt als erster Schütze für die Afrikaner an? Es ist Asamoah Gyan, der noch Augenblicke zuvor den Matchball vergeben hat. Nun ist er im Begriff, den vierten Elfmeter bei dieser WM-Endrunde zu treten. Kann er es wenigstens wieder ein bisschen gut machen?

Und hier kommt die unglaubliche Geschichte: Dieser Gyan muss gute Nerven haben und Eier aus Stahl. Er verwandelt den Elfmeter - im wahrsten Sinne des Wortes. Er zaubert ihn ganz unbeeindruckt, als ob nichts gewesen wäre, ins rechte Kreuzeck - besser kann man einen Elfer nicht schießen. Angesichts der Vorgeschichte halte ich das für eine übermenschliche Tat - mehr Gewicht kann man als Schütze gar nicht auf den Schultern tragen. Und trotzdem bleibt es nur ein schwacher Trost. Es war der falsche Elfmeter, den er getroffen hat. Denn für seine Teamkollegen ist die Last zu schwer, sie scheitern kläglich an Muslera und Uruguay steht im Halbfinale.

Ist Suárez ein Betrüger? Oder war seine Aktion genial? Ist Gyan der tragische Held? Muss er uns leid tun? Ich weiß es nicht. Niemand weiß irgendwas, denn diese paar Minuten gestern abend, das war absoluter Irrsinn, fußballerischer Wahnsinn, noch nie dagewesene Spannung, Tragik und Enttäuschung, Freude und Euphorie - es war alles zusammen. Zu viel für einen Einzelnen, zu viel auch für die Masse beim Public Viewing. Was bleibt ist Rat- und Fassungslosigkeit. Die Erkenntnis, dass Fußball so hässlich und schön zugleich sein kann, dass zwischen Sein und Nichtsein oft nur die Hand eines allzumenschlichen Menschen und nicht die eines Gottes entscheidet.

Freitag, 2. Juli 2010

Erinnerungen

An wen wir uns nicht erinnern werden.
Wer in Schönheit gestorben sein wird.

Und wer Weltmeister wird!


Von den letzten Achtelfinalspielen wird uns wahrscheinlich nur das Spiel Spanien gegen Portugal im Gedächtnis bleiben. Lange werden wir in ein paar Jahren herumrätseln, gegen wen der spätere Weltmeister Holland im Achtelfinale gespielt haben könnte, und falls es uns einfallen sollte, könnte es durchaus sein, dass wir die Slowakei mit Slowenien verwechseln. Auch dieses Spiel hat uns wenig von der holländischen Mannschaft verraten. Können die nicht mehr? Oder ist das einfach nur eisenharte Disziplin? Bis jetzt hat die Niederlande zusammen mit Brasilien und Argentinien das Optimum an Punkten geschafft. Heute wird eine der beiden Mannschaften heimfahren. Was schade ist, denn auch die Brasilianer haben im Spiel gegen Chile ihr hässliches Gesicht der Vorrunde (Dunga) zeitweise abgelegt - weil sie mussten. Schade auch, dass Chile weg ist, die Mannschaft mit dem interessantesten und mutigsten Fußball bisher. Es ist halt auch immer ein bisschen Pech dabei, wenn man im Achtelfinale schon gegen einen Titelfavoriten (aber sind das im Achtelfinale nicht schon alle?) ran muss. Denn in der KO-Phase zeigt sich dann doch endlich, was in der Vorrunde noch gefehlt hat: Dass die Favoriten auch so wie Favoriten spielen - nämlich mit Testosteron.

Chile hätte man einen Gegner wie Japan oder Paraguay gegönnt. Das Hurra-Geplärre nach dem letzten Gruppenspiel der Japaner war nur von kurzer Dauer, im Achtelfinale zeigten auch sie wieder ihr wahres Gesicht. Das einer Fußballnation nämlich, die durchaus ambitionierten und aufregenden Fußball, der auch erfolgreich ist, spielen kann, aber meistens nicht will. Aus welchen Gründen auch immer - das ist ja das: Bei den Japanern fragt man sich immer, warum die das machen (z.B. TV-Shows wie Takeshi's Castle). Das versteht kein Schwein. Und jetzt sind sie also weg. Schön war's, aber an euch wird man sich in vier Jahren auch nicht mehr wirklich erinnern, liebe Japaner!

Über Paraguay will ich eigentlich auch nichts schreiben, weil es sich nicht lohnt, weil die morgen Abend gegen Spanien rausfliegen und das war's dann - Deckel zu, Affe tot. Über Spanien allerdings möchte ich schon schreiben. Denn Spanien-Portugal, das war eine feine Partie. Einerseits weil die Spanier hier wieder sehr bestimmt und Euro-mäßig aufgetreten sind, andererseits weil die Portugiesen durchaus das eine oder andere Tor hätten schießen können, ja müssen, und dann steht's 1:1 und da ist dann, wie bekannt, alles möglich. Warum die Spanier kein zweites Tor geschossen haben? Weil sie eigentlich nicht mussten. Gleich wie die Niederländer gegen die Slowaken. Die mussten auch lange kein zweites Tor schießen. Dann haben sie aber doch noch eines geschossen, weil sie sich dachten, das ist gescheiter, weil zum Schluss schießen uns die Slowaken doch noch eins und dann schau‘n wir aber blöd aus der Wäsche und alle werden sie sagen: "Schau, die Niederländer sind gar nicht so gut wie sie immer tun!". Also haben die Niederländer das zweite Tor gemacht und tatsächlich hat die Slowakei dann noch den Anschlusstreffer erzielt, es war aber schon viel zu spät und jetzt sind sie eben vergessen und werden nicht als das Team erinnert, das den späteren Weltmeister im Achtelfinale in die Verlängerung gezwungen hat und damit an den Rand des Ausscheidens.

Die Spanier haben nach dem Motto agiert: "Wenn die Portugiesen bis jetzt kein Tor geschossen haben, dann schießen sie auch keins mehr". Also haben sie es bei einem Treffer belassen - das ist nur ökonomisch. Das sie aber hätten können, haben sie uns aber schon deutlich gemacht. Ich bin gespannt, ob gegen Paraguay wieder dieses schön verzerrte Spiel aufgezogen wird, bei dem Ramos von rechts hinten immer und immer wieder extrem giftig nach vorne stößt und Villa links vorne in die Mitte zieht wie der reinste Robben, nur halt von der anderen Seite. Und dahinter die Jonglierafferln Xavi und Iniesta, die im Kreis rotieren und die Spieler von der anderen Mannschaft aber immer ganz alt aussehen lassen. Nicht zu vergessen der Cro-Magnon-Mensch in der Innenverteidigung, Puyol, das Vieh, der dich beißt, wenn du ihm zu nahe kommst, oder der den Kopf so lange schüttelt, bis du den ganzen Schweiß seiner Mähne im Gesicht kleben hast - kein Vergnügen, für niemanden, denn auch der andere, Piqué, der Turm, ist kein feiner Gegner. Der narbenübersähte Barcelona-Spieler gönnt dir als Stürmer keinen Kopfball und du wirst auch nicht braun, weil du aus seinem Schatten nie rauskommst. Ja, ein würdiger Finalgegner für die Holländer wäre das, dieses Spanien, die Furia Rocha!

"In Schönheit sterben" ist so ein Satz, den man bei solchen Turnieren immer wieder hört, und meistens bezieht er sich auf die Niederlande. Diesmal wird man aber Argentinien gemeint haben, wenn man das Turnier revue passieren lässt. Die Argentinier spielen schon toll und man wird nicht ganz verstehen, wie es passieren konnte, dass man gegen Deutschland schon wieder im Elfmeterschießen ausgeschieden ist. Und Maradona wird mit Messi weinen, denn endlich wird der Floh sein überfälliges Tor geschossen haben, aber leider half es nichts, denn auch der deutsche Messi, dieser Özil, traf. Traurige Geschichte, wer hätte das gedacht?

Oder aber bricht diese deutsche Mannschaft doch wieder ein? Wird sie auf einmal wieder als Haufen von Kiez-Kickern und Rumpelbayern auftreten und von den Gauchos überfahren werden? Und was dann? Was passiert dann mit Spanien? Wer kann die schlagen, wenn nicht die Argentinier? Werden die Spanier sich am Ende mit den Urus um den dritten Platz duellieren müssen? Nein, nein, das ist alles ganz undenkbar, Spanien muss ins Finale, egal ob gegen die Deutschen oder die Argentinier. Deswegen geht's morgen bei ARG-DEU nur darum, wer dann gegen Spanien ausscheiden darf. Wozu also die Aufregung?

Wir sehen: Am Ende ist alles so einfach, so deutlich, so transparent, so "eh klar". Oder?