Dienstag, 17. Juni 2014

Deutschland, deine Fans

Ich hab das Thema hier schon einmal behandelt, mach das aber jetzt wieder, bevor es zu spät ist! Wie es um den deutschen Fußballfan bestellt ist, und warum der Fußball da gar nichts dafür kann.


Wenn mich ein Deutscher fragt, wem denn die Österreicher die Daumen drücken bei der Fußball-WM, dann ist das eine hinterlistige Frage. Und sie ist eine hundsgemeine obendrein. Denn erstens feixt da der Deutsche still in sich hinein, weil Österreich natürlich nicht dabei ist; manche haben sogar die Frechheit zu fragen: "Spielt Österreich denn mit?" Sie wissen es ganz genau!
Zweitens überprüft der Deutsche mit solchen Fragen die Gesinnung des Österreichers. Solidarisiert er sich mit der "Nationalelf", flüchtet er also unter den strahlenden Fußballhimmel des großen Nachbarn? Oder ist er ein grantiger Miesmacher, der den Deutschen nix gönnt, wohinter der Deutsche dann natürlich Eifersucht vermutet. Daran kann er sich dann wieder ergötzen, der Deutsche am leidenden Österreicher.

Ich antworte jedenfalls gerne diplomatisch und sage, dass wir uns "schwer tun" mit dem deutschen Fußball, und dass es ganz darauf an komme. Worauf es denn ankomme, fragt dann der Neugierige. "Wenn sie die bessere Mannschaft waren, dann freuen wir uns natürlich auch für die Deutschen", lüge ich dann gekonnt. Denn in Wahrheit müsste ich sagen: "Es kommt ganz darauf an, wie ihr mit eurem Erfolg umgeht!"
Heute im Frühstücksfernsehen habe ich ihn wieder gesehen, den Schlander, der mit Fahne und Schminkgesicht betrunken vor der Kamera herumhüpft, vollkommen außer sich, obwohl vermutlich schon viele Stunden nach dem Spiel, und dauernd ungläubig "Vier zu null! Vier zu null!" in die Kamera brüllt und dabei hysterisch lacht. Er freut sich also, der junge Mann; alles klar.

Die Freude über den deutschen Erfolg ist aber immer so verkrampft und inszeniert wie hier. Deswegen kennt sie auch kein Maß. Es gibt kein "war okay, gut gespielt, aber Portugal nicht gut" etc. Das kommt nur vom DFB selber, vom Trainer, von den Spielern. Die haben das gelernt. Die Fans nicht. Die Fans müssen sich freuen. Der Deutsche freut sich, weil es sein Recht und seine Pflicht ist. Das Recht hat er erworben durch den Sieg seiner Mannschaft, die Pflicht erlegt er sich quasi selber auf. Er pocht auf sein Recht zum Jubel. Das macht das ganze so verkrampft, das macht den Jubel so suspekt. Vor allem, weil das unverkrampfte Umgehen mit der eigenen Nationalität und das Bejubeln derselben immer noch nicht vereinbar ist. Ein Deutscher, der eine Fahne schwenkt - das ist eigentlich jedem egal. Nur die Deutschen selbst sehen sich ungern dabei zu, weil sie sich davor fürchten, dass irgendeiner dem Jubelnden ein Hitlerbärtchen unter die Nase malen könnte.

Vielleicht ist es so zu erklären, dass man im Jubel von sich selbst ablenkt und alle Energie auf Müller, Jogi, Schweini und wie sie alle heißen konzentriert. Man deutet hin auf die Elf, die in Adiletten in der Kabine steht, die arme Kanzlerin Merkel inmitten schwitzender Fußballer. Deutschland, Juchee! Der Hurra-Piefke stakst brav durch die Straßen, verkleidet pflichtbewusst seine Seitenspiegel mit schwarz-rot-gold, und tanzt zu Stefan Raab, Oliver Pocher, den Toten Hosen oder sonst irgendwelchen Vertretern deutscher Unterhaltungs-Unkultur. Das nervt, weil es ihm keiner glaubt, dass er sich wirklich freut. Eigentlich will er es nur allen gezeigt haben. Wieder mal die Besten, wieder mal obenauf. Ich fahr Mercedes, Opel, BMW, Audi und VW gleichzeitig und unser Müller ist der Beste! Deutscher Jubel ist ohne Übermaß nicht zu bekommen.

Der Unterschied zu anderen Nationen ist etwas schwerer zu vermitteln. Einerseits gibt es da jene, die ihre Begeisterung aus reinem Nationalstolz speisen. Das sind zum Beispiel die südosteuropäischen Jungnationen (Kroatien, Bosnien und Herzegovina), aber auch die Amerikaner oder die Russen. Die anderen ziehen ihre Begeisterung aus einer reichen und ausgiebig 365 Tage im Jahr gelebten Alltag-Fußballkultur. Dazu gehören zum Beispiel England oder Italien.
Für manche ist der Fußball die einzige Möglichkeit, überhaupt einmal wahrgenommen zu werden. Und so macht es die Menschen glücklich, ihre besten Fußballer im Fernsehen zu sehen und zu wissen, dass die ganze Welt sie auch sieht. Das betrifft meist Kleinstaaten und die sogenannten Exoten. Die Südamerikaner wiederum lieben es, ihre Lebensfreude zu zelebrieren und das öffentlich zur Schau zu stellen. Fußball gehört auch hier zum Alltag, wenn er auch hier weniger intellektuelle (wie in Europa) sondern eine sozial-identifikatorische Bedeutung hat.

Deutschland steht in dieser Riege irgendwie allein da. Ein Artikel in den Salzburger Nachrichten behauptete letztens, dass jede Mannschaft bei dieser WM einen Spitznamen für ihre Nationalmannschaft hat - alle außer die Deutschen. Das müsste man jetzt durchdeklinieren um es zu überprüfen, aber ich glaube es auch so. Deutschland ist keine Fußballnation im klassischen Sinne. Fußball stiftet hier keine Identität und ist auch nicht unbedingt im Alltag integriert. Er wird professionell betrieben, es gibt das richtige Umfeld, um großartige Spieler heranwachsen zu lassen. Deutschland ist auch eine erfolgreiches Land, sowohl mit der Nationalmannschaft als auch auf Vereinsebene. Aber Deutschland braucht den Fußball nicht, sie haben ihn nicht erfunden, sie haben ihn nie revolutioniert, sie sehen sich auch nicht als Fußballer, sondern in erster Linie als Ingenieure. Das mag jetzt ein Vorurteil sein, aber wenn man einen Italiener fragt, was Italien ausmache, kommt "Calcio" wohl ziemlich weit vorne.

Deutschland ist überall gut, weil der organisierte Sport genügend Talente hat und fördern kann. Freilich, Fußball mag die populärste Sportart sein, aber das ist er in den meisten Ländern. Weil eben Deutschland dieser Sport nicht ureigen ist, er aber die Macht hat, ein ganzes Volk in Jubelstimmung zu versetzen (eben durch seine Breitenwirksamkeit), ist er den Deutschen irgendwie unangenehm. Daher kann der Deutsche nicht wirklich entspannt jubeln und daher kommt es zur unnötigen Übertreibung. Die Leidenschaft fehlt, der Stolz ist da. Und stolz auf sein Land zu sein, das wurde den Deutschen verboten. Daher gibt es jetzt Schlander und Hurrapiefkes, die den Stolz auf "Jogis Buben" über die Unterhaltungskultur ausleben.

Die Lösung für alle Österreicher und andere, die sich an dem Getue stoßen, liegt darin, zu erkennen, dass das ja mit dem Fußball im Grunde nichts zu tun hat. Es hat ja auch niemand Schuld daran, dass es so gekommen ist. (Außer vielleicht Stefan Raab und Konsorten). Unser Problem ist die geographische, sprachliche und vielleicht auch historische Nähe zu Deutschland. Eigentlich schaue ich nämlich gern ARD oder ZDF, weil der österreichische WM-Firlefanz heuer wirklich unter aller Sau ist. Am Tag eines Deutschlandspiels aber meide ich diese Sender, nicht weil die Vorberichterstattung zu viel auf die deutsche Mannschaft eingeht, sondern weil eben auch dauernd diese Schlander auftreten. Und vielleicht auch, weil man befürchtet der deutsche Kommentator würde sich beim 4:0 ein bisschen zu viel freuen. Das ist die Kommentatorenvariante von C. Ronaldos Nach-einem-unbedeutenden-Elfmeter-Tor-das-Trikot-ausziehen-und-Posen.

Es ist also eh einfach: Sich am deutschen Fußball erfreuen, so er denn erfreuenswert ist, und den Rest nicht einmal ignorieren. Im Übrigen würde das alles, was ich oben über die Deutschen und ihr Verhältnis zum Fußball geschrieben habe, genauso für Österreich gelten. Gott sei Dank müssen wir nicht darüber nachdenken, wie wir uns verhalten würden, hätten wir eine erfolgreiche Mannschaft (die übrigens auch keinen Spitznamen hat). Stattdessen schauen wir die Deutschland-Spiele lieber auf ORF, schalten aber natürlich sofort um, wenn Deutschland in Rückstand gerät!

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