Montag, 21. Juni 2010

Macht und Erfolg

Krisenstimmung bei den Kolonialmächten und warum die Favoriten mehr Eier haben müssen.


Abseits des grünen Rasens passiert bei dieser WM auch so einiges. Frankreich zum Beispiel. Frankreich passiert auf dem Feld nämlich wenig (Gutes) - 0 Tore, 1 Punkt. Und das hat damit zu tun, was ihnen abseits des Feldes passiert. Da gibt‘s wüste Beschimpfungen des Enfant terrible Nikolas Anelka gegen den dummen Domenech. Viele sagen, das ist das beste, was Anelka bei dieser WM bis jetzt geleistet hat. Das spricht natürlich auch nicht gerade für ihn. Dann boykottiert das ganze Team das Training, weil der Französische Fußballverband Anelka heimgeschickt hat, Evra streitet sich mit dem Fitnesstrainer, der Manager tritt zurück etc. Interessiert uns aber eigentlich auch gar nicht, das Ganze, weil eine Neustrukturierung dieser Mannschaft auch ohne Eklat notwendig gewesen wäre. Jetzt wissen es also alle.

Auch bei den Engländern kocht und brodelt es. Nach der katastrophalen Vorstellung im letzten Spiel, wird Teamchef Capello aller Voraussicht nach abgesetzt. John Terry, Abwehrchef und Ex-Kapitän, zettelt eine Revolte gegen den amtierenden Kapitän Gerrard an. Da machen aber die anderen nicht so recht mit, Lampard distanziert sich von Terrys Vorgehen etc. Ein bisschen interessant, das Ganze, aber nicht wirklich. Das lenkt weder von den schlechten Leistungen am Feld ab, noch scheint es, als wäre es das probate Mittel, um am Teamgefüge und also am Misserfolg irgendwas zu ändern.

Die WM in Afrika bringt die ehemaligen Kolonialmächte dazu, sich selbst zu zerstören. Das ist ironisch. Die WM zeigt aber auch, wie sehr, bei allem Augenmerk, das auf den von mir so genannten "Helden" liegt, der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft über Erfolg oder Misserfolg bestimmt. Und es zeigt, wie wichtig nicht nur die taktischen Aufgaben sind, die ein Trainer zu erfüllen hat, sondern eben auch die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft, das Vertrauen, die nötige Autorität und psychologische Cleverness, die der Mann auf der Bank mitzubringen hat. Nach Kamerun versucht nun auch England, sich selbst aufzustellen (zumindest John Terry versucht das, indem er ein 4-5-1 mit Solospitze Rooney propagiert und Cole für die Startelf fordert). Auch die Elfenbeinküste wurde gestern weniger von Sven Göran Eriksson als von Didier Drogba aufgestellt. Das ist eigentlich überflüssig; was man daran sah, dass die ersten 60 Minuten des ersten Spiels den besseren Ivorer-Fußball boten als die gesamte Partie gestern gegen Brasilien.

Im Englischen gibt es die Wendung "to know one's part", im Deutschen etwa "seine Rolle kennen". Im Englischen kommt aber der Charakter der Teil-Ganzes-Beziehung noch deutlicher heraus. In einer Mannschaft hat jeder seine Aufgabe, das fängt beim Trainer an und endet bei den Masseuren. Natürlich entsteht innerhalb eines Teams immer auch ein gewisses Machtgefüge. Auch dieses Wort (Gefüge nämlich) verrät, dass man sich darin zu fügen hat und sich am besten auf seine persönlichen Aufgaben konzentriert. Wer aneckt, umrührt oder nicht bereit ist, seine Rolle im geforderten Maß auszufüllen hat keinen Platz im Team - ganz gleich, welche fußballerischen Fähigkeiten derjenige haben mag. Das ist eine Entscheidung, die der Trainer zu treffen hat und es ist auch der Grund, warum man gewisse Spieler bei dieser WM nicht zu sehen bekommt (Ronaldinho etwa). Blöd ist, wenn der Trainer seine Aufgaben nicht erfüllt oder nicht kennt. Dann muss der Verband handeln. Tut er das nicht, kommt es unter Umständen zu einer gefährlichen Kettenreaktion (s. Frankreich). Insofern muss ein Team auch stark genug sein, Schläge von außen (Fans, Medien) auszuhalten - und zwar als Gemeinschaft. Ein solches Team geht auch besser mit Misserfolgen um (Spanien, hoffe ich).

Noch ein Wort zu den übermannschaftlichen Machtverhältnissen, etwa denen innerhalb der Gruppen. Wir haben deutlich gesehen, dass vermeintlich schwächere Mannschaften selbst großen Favoriten ernsthaften Schaden zufügen können, ihnen aber zumindest das Leben schwer machen und sie in Bedrängnis bringen können. Das passiert teilweise durch cleveres Taktieren der "Kleinen", teilweise durch Leistungsunwillen der "Großen". Dann wird immer wieder gesagt "Jeder, der sich für eine WM-Endrunde qualifiziert hat, hat sich zurecht qualifiziert". Soll heißen: Auch schwache Gegner darf man nicht unterschätzen: was richtig ist - hat man ja gesehen. Nur: Wenn man die bessere Mannschaft ist, muss man auch wie die bessere Mannschaft spielen. Das sah man bisher selten, nämlich nur von Argentinien, von Deutschland im ersten Spiel gegen Australien und heute von Portugal gegen Nordkorea. Da hilft alles nichts, der Favorit kann nicht die Favoritenrolle ablegen und sich darauf hinausreden, dass die Außenseiter so destruktiven (lies: taktisch dem Spiel des Favoriten perfekt angepassten) Fußball spielen.

Das Spiel des Favoriten hat selbstbewusst zu sein. Dazu gehört erstmal das Annehmen der Favoritenrolle. Dann gehört das, was man kann, konsequent und mit Eiern in der Hose umgesetzt. Wenn ein Team nicht bereit ist, 90 Minuten lang konzentriert den Fußball zu spielen, den es am besten spielt, dann gehört es nicht in eine WM-Endrunde. Hier spreche ich von Italien und England (von Frankreich sowieso), aber auch von Brasilien, das sich gestern gegen die Elfenbeinküste (zumindest in Hälfte 1) den entsetzlichsten Fußball geleistet hat, den ich bisher gesehen habe (gemessen an der Qualität der Mannschaft; und England im Spiel gegen Algerien selbstverständlich ausgenommen). Das lief Gott sei Dank in Hälfte zwei besser und wurde auch belohnt. Den Gegner zu unterschätzen und ein hochnäsiges Spiel aufzuziehen, das traut sich nach dem ersten Durchgang eh keine Mannschaft mehr. Und das ist auch richtig, denn die "Kleinen" gibt es nicht. Es gibt Mannschaften, die nicht über die nötige spielerische Klasse verfügen, um Weltmeister werden zu können, ja. Aber genau diese Mannschaften sind es, die allemal dafür sorgen können, dass einer der sogenannten Favoriten nicht das Achtelfinale erreicht. Die "Großen" täten gut daran, den Mittelweg zwischen Arroganz und übertriebener Vorsicht zu finden. So wie das heute Portugal in der zweiten Hälfte gemacht hat. Vielleicht haben das Match ein paar Kollegen aus Brasilien, Holland (ja, ich weiß, dass ich ausgerechnet von den ersten beiden Mannschaften, die sich fürs Achtelfinale qualifiziert haben, spreche) oder Spanien gesehen und hatten ein Aha-Erlebnis.

Ich bin froh, wenn diese Vorrunde vorbei ist. Schon im Vorfeld habe ich sie ja als Vorgeplänkel für die Viertel- und Semifinalspiele gesehen. Sie dient als Sieb, weil die Qualifikation noch nicht Sieb genug ist und sie dient dazu, vermeintliche Erkenntnisse über Teams zu erlangen, die sich dann in der KO-Phase ohnehin als wertlos herausstellen. Aber sie ist eine Bühne für Sensationen, Enttäuschungen und Überraschungen - also doch wieder ihr Geld wert.

Nächste Woche geht's für das eine oder andere Team bereits um Sein oder Nichtsein. Und dann werden "Große" wie zum Beispiel Deutschland endlich gezwungen, Fußball mit Eiern zu spielen und das zu zeigen, was man eigentlich schon von Anfang an von ihnen erwartet hat. Das doofe Hurra-Geschrei der Deutschen nach dem ersten Match wurde angenehm erstickt, man ist eben doch noch nicht im Finale. Auch die Portugiesen brauchen sich jetzt noch nicht im Halbfinale wähnen - immerhin war das heute Nordkorea und nicht Brasilien. Hier sah man: wie schwach oder stark solche Mannschaften wie Nordkorea im Spiel gegen einen Favoriten sind, bestimmt ausschließlich die Mannschaft, die gegen sie antritt - der Favorit also.

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