Montag, 7. Juni 2010

Hinkende Helden

Warum wir Helden brauchen? Damit sie uns enttäuschen und/oder verzaubern können!



Gestern war davon die Rede, dass es Spieler gibt, die ein Spiel allein entscheiden können. Nun ist diese Art der Rede freilich eine rhetorische Übertreibung. Trotzdem sind die Spieler, die mit diesem Urteil regelmäßig belegt werden, für ihre jeweilige Mannschaft sehr wichtig. Beispiele der letzten Saison wären natürlich Lionel Messi für Barcelona oder eben auch Arjen Robben für den FC Bayern München. Trotzdem gerade Argentinien und die Niederlande keine Mannschaften sind, denen ein Ausfall einzelner Spieler übermäßig weh tun würde (bei Holland ist Robben in der jetzigen Form eine Art Primus inter pares, das war aber auch nicht immer so. Messis Leistung in der Nationalmannschaft ist auch eine andere als bei Barca), kratzt es in unangenehmer Weise am Mannschaftsgefüge.

Ja, viele Fußballer sind eitle Gecken und vor allem in der Nationalauswahl kommt es da und dort zu Reibereien, Neid und Missgunst (ironischerweise in Österreich öfter als sonst wo!). Aber wie groß die Konkurrenz auf einer Position auch sein mag, auf jemanden wie Robben oder Messi möchte man ungern verzichten. Prinzipiell kann jeder Ausfall ersetzt werden - durch Neubesetzung der Position, durch andere Aufgabenverteilung oder, im schlimmsten Fall, durch Umstellen des Systems. Trotzdem fehlt der Mannschaft etwas, wenn der große Star nicht dabei ist. Es fehlt an Selbstvertrauen und es fehlt das Vertrauen der Fans. Die Rede ist hier nicht von den ohnehin immerzu (zweck)optimistischen Nationalmannschaft-Fans, die zu jedem Testspiel anreisen. Es fehlt das Vertrauen jener, die sich bei einem Großereignis durch ihr Nationalteam vertreten fühlen, ohne unbedingt selbst große Fußballfans zu sein. Jene also, die sagen: „Ich schau selten Fußball, aber EM und WM schon.“ Diese Fans sind schnell zu begeistern (siehe Deutschland 2006 und sogar Österreich bei der Heim-EM), aber man ist sie genauso schnell wieder los, wenn was nicht klappt oder wenn etwas eintrifft das so im Drehbuch nicht vorgesehen war.

Abgesehen davon, dass Helden dem Mannschaftsgefüge und dem Vertrauen der Fans zuträglich sind, sind sie auch jene Spieler, auf die sich unsere Aufmerksamkeit am meisten konzentriert. Sie sind sozusagen die Hauptfiguren im Stück. (Da kann sich natürlich ab und zu auch ein Trainer dazugesellen - etwa Diego Maradona, der dazu großes Potenzial hat.) Auf ihre Leistung, auf ihre Handlungen kommt es an. Mit ihren Toren (Torres), ihrer unglaublichen Spielgestaltung (Xavi, Iniesta), ihrer Sicherheit und Übersicht (Senna) und ihren Glanztaten (Puyol, Casillas) bestimmen sie nicht nur über Erfolg oder Misserfolg ihrer Mannschaft, sondern über den Verlauf der Handlung, der Geschichte ihrer Mannschaft zwischen dem 11. Juni und dem 11. Juli. (Nicht umsonst sprach man 2006 in Deutschland von einem „Sommermärchen“.)

Hätte im WM-Finale von 2006 jemand anderer als Zinedine Zidane die rote Karte bekommen, es wäre sicher auch ein Skandal gewesen. Aber die Dramatik war ungleich höher, war es doch dieses Genie, das sonst so besonnen den Ball streichelte, und das jetzt ausgerechnet in einem WM-Finale, ausgerechnet in der Nachspielzeit und ausgerechnet durch eine Tätlichkeit, durch einen Auszucker (auf gut österreichisch) vom Platz gestellt wurde. Man stelle sich vor, Messi passiere heuer etwas Ähnliches - eine Welt würde für viele zusammenbrechen. Würde es hingegen Shunsuke Nakamura von Japan passieren, es würde übermorgen schon keiner mehr wissen und eigentlich wäre es auch jedem ziemlich egal.

Der FC Chelsea hat seine Spieler anscheinend eine Saison lang so geschunden, dass der halbe Verein für die WM ausfällt. Der erste war Michael Ballack, dem schon wieder der mögliche erste richtig große Erfolg versagt bleibt. Man wünscht ihm, dass Deutschland nicht Weltmeister wird, wie bitter wäre das sonst für ihn? Man hat den Eindruck, die Deutschen haben seinen Ausfall gut weggesteckt. Zumindest sah das im Spiel gegen Bosnien ordentlich aus, was Khedira und Schweinsteiger da im Mittelfeld gemacht haben.

Michael Essien fehlt bei Ghana, John Obi Mikel bei Nigeria. Der wichtigste aber ist Didier Drogba, der sich einen Ellenbogenbruch zuzog. Die Elfenbeinküste hätte ich - trotz der schweren Gruppe mit Brasilien und Portugal - auf einer Achtelfinalrechnung gehabt. Aber ohne den Eisenbeißer Drogba im Sturm wird‘s gegen die besagten Gegner schwierig.

Bei England fehlt Beckham - das wissen wir schon seit Monaten und eigentlich ist niemand so richtig traurig darüber. Jetzt fehlt auch noch Rio Ferdinand, was ein wenig bitterer ist, aber auch kein unlösbares Problem darstellt.


Wie es eine Hand voll Favoriten gibt (welche das sind, wird uns morgen beschäftigen), gibt es auch nur eine Hand voll Helden, deren Ausfall katastrophal wäre. Ein möglicher Robben-Ausfall wäre schon ein bisschen katastrophal, weniger für die Niederlande als für uns Zuseher. Dann gewinnen die Holländer ihre Spiele halt nur mehr mit 4:1 und nicht mit 6:1, weil eben zwei Robben-Tore fehlen. Ein Drogba-Ausfall ist schon eher katastrophal, diesmal aber mehr fürs Team als für die Zuseher.

Wir sehen also: Auch Katastrophen sind beim Fußball relativ, denn die größere Katastrophe als ein Ausfall, wäre wenn ein sogenannter Held seine Leistung nicht brächte und alle - Mannschaft, Fans, er selbst - deshalb enttäuscht wären. Obwohl wir ja gestern gesagt haben, dass wir enttäuscht werden wollen... Aber eben sensationell (wie von Zidane) und nicht unspektakulär!

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