Donnerstag, 24. Juni 2010

Hollywood und Wimbledon

Vielleicht sind die gleichzeitig ausgetragenen letzten Gruppenspiele besser als die K.O.-Phase.

Vielleicht hat die aber einfach schon angefangen und wir haben es gar nicht bemerkt.


Was war das gestern für eine Dramatik am Nachmittag! England bringt seine bisher überzeugendste Leistung und gewinnt endlich gegen die bis dato Gruppenersten, Slowenien. Da es beim Parallelspiel zwischen USA und Algerien Ewigkeiten 0:0 steht (wieder wurde ein Tor der Amerikaner ungerechtfertigterweise aberkannt), sieht es so aus, als würden die Slowenen zusammen mit den Engländern ins Achtelfinale aufsteigen. kopfschüttelnd sitzt der USA-Fan da und fühlt sich ungerecht behandelt. Freilich, gegen Algerien muss man gewinnen und das am besten 2:0, die Mannschaft ist eh selber schuld. Aber andererseits wäre man nicht in dieser Lage, hätte der Schiedsrichter im letzten Spiel das dritte Tor gegeben. Oder hätte der Schiedsrichter das erste Tor im aktuellen Spiel gegeben. Hätte, hätte, es hilft alles nix. Auch, wenn es ungerecht zugeht, es ändert ja nichts am Ergebnis. Und auf einmal sieht man jubelnde Männer in weißen Trikots, die nicht die Slowenen sind. Zuerst kennt man sich nicht aus, weiß nicht, was da genau passiert, wer jetzt gegen wen ein Tor geschossen hat. Die Engländer könnens nicht sein, denn die waren gestern seit langem wieder mal rot. Dann sieht man im Hintergrund grüne Männlein herumstapfen, auf einmal einen glatzköpfigen Coach, einen Donovan mit Geheimratsecken, der sich freut und kapiert, dass es sich da grad um die USA handelt, die ein Tor geschossen haben. Last Minute relief! Ein richtiges "Hollywood-Drama mit Happy End" (Andi H.), denn die Amerikaner beenden die Gruppenphase als Tabellenerster vor England. Und Slowenien ist draußen, was bitter ist. Aber irgendwie ist man natürlich auch froh, weil man die nicht wirklich im Achtelfinale haben wollte. Die hätten dann am Ende gegen Ghana gespielt und dann steht entweder Ghana oder Slowenien im Viertelfinale, was schon ein bisschen zu viel des zu-den-Kleinen-halten gewesen wäre. Und mit England als Gruppenzweiten können wir sehr zufrieden sein, denn die spielen jetzt gegen: Deutschland.

"Ghana ist nicht Österreich", sagte Jogi Löw anscheinend vor dem Spiel. Da hat er Recht, der Jogi. Heißt aber wieder mal nix anderes, als dass man Ghana halt nicht unterschätze dürfe etc. Aber richtig, sie sind nicht Österreich. Und Ghana ist auch nicht England, lieber Jogi!

Jedenfalls haben sich die Deutschen - diesmal mit Boateng (damit man dem Halbbruder auf der anderen Seite zeigen kann "Schau, so einen haben wir auch!") statt Badstuber - ordentlich durchgesetzt. Aber Ghana ist nicht Österreich, und deshalb kamen die auch zu ein paar Chancen und sorgten dafür, dass das doch eine recht ansehnliche Partie geworden ist. Was aber bei den anderen beiden Gruppenkollegen passierte, war auch durchaus interessant. Da verhalf nämlich Australien Ghana zum zweiten Platz, indem sie den Serben mal eben 2 Tore schossen. Und da ging auf einmal die Rechnerei wieder los: "Wenn die jetzt noch zwei Tore schießen, oder Deutschland noch ein Tor schießt und die auch noch mindestens eins, haben sie das gleiche Torverhältnis wie Ghana bei gleichen Punkten, würden aber, weil sie mehr erzielte Tore haben, auf Platz zwei kommen" usf. Bevor man sich aber derartige Konstellationen fertiggeträumt hat, schossen die Serben auch schon wieder das 1:2 - Kurze Enttäuschung. Dann aber: "Ja wart einmal, wenn die Serben jetzt noch ein Tor schießen, dann steigen die ja auch auf und zwar vor Ghana, wieder wegen der Tore", und auf einmal wollte man wieder ein serbisches Tor sehen. Also manche wollten das - ich nicht. Erstens, weil es gut und richtig ist, dass doch noch eine afrikanische Mannschaft im Achtelfinale steht, zweitens, weil ich sehen will, ob Ghana nun ein Tor aus dem Spiel erzielen kann oder nicht und drittens, das muss man halt auch in aller Deutlichkeit sagen: weil mir die Serben unsympathisch sind. Und weil mir die Serben unsympathisch sind, die Australier aber sympathisch, war das ganz große Klasse, dass letztere das gestrige Spiel gewonnen haben, damit Ghana zum Aufstieg verhalfen und sich anständig von der WM verabschiedeten. See you in four years, Socceroos!

Es geht hier um Dramatik und es geht um Sympathie. Freilich wär das auch noch was gewesen, wenn Serbien einen 0:2 Rückstand aufgeholt und damit den Aufstieg geschafft hätte. Von der Dramatik her toll. Aber die Sympathie stand in diesem Fall dagegen. Deswegen hat einem gestern nichts Besseres passieren können, als USA-Fan zu sein. Denn da wars arschknapp und trotzdem kann man nicht sagen, die USA hätten sich ins Achtelfinale gemogelt. Die wären ja beinahe von unfähigen Schiedsrichtern aus dem Turnier gepfiffen worden - und dann haben sie es doch noch geschafft. Mit dem sogenannten American Spirit, dieser Mischung aus Never-give-up und In-God-and-our-Nation-we-trust mit ein bisschen Yes-we-can und Bill Clinton im Publikum - da geht das dann schon. Und wenn die es ins Halbfinale schaffen, dann wird das auch verfilmt. Leider.

Aber eines ist jetzt schon interessant. Wir haben einen Halbfinalisten, der entweder aus Uruguay, den USA, aus Südkorea oder Ghana kommt. Wer hätte darauf im Vorfeld gewettet? Momentaner Favorit aus den vieren ist sicherlich Uruguay. Aber wir haben gesehen, dass den Amis was zuzutrauen ist. Und Südkorea wäre ein klassischer Stolperstein, die man aber bei Gott nicht im Semifinale sehen will. Ghana? Wie gesagt, die müssen erstmal ein Tor aus dem Spiel heraus schießen. Für die USA gilt: ein Tor schießen und Elfmeter verhindern. Sonst wird's knapp.

England gegen Deutschland ist natürlich ein Kracher. Zwar konnte sich England steigern, mit Deutschland steht aber die kompaktere Mannschaft am Feld. Özil hat gestern wieder so gespielt, dass ich ihm fast den Lionel wieder vorne dranhängen würde - hätte er kein Tor geschossen und damit den Vergleich zwischen ihm und Messi unmöglich gemacht. Aber Messi (und vielleicht auch Wayne Rooney) werden in der KO-Phase anfangen zu treffen. Rooney müsste sich beeilen, denn ein Tor gegen Deutschland wär schon recht wichtig. Und der Polanski wird auch wieder treffen - wenn's niemand erwartet und es am wichtigsten ist, dann trifft der. Und dann, später im Turnier, oder sogar schon im Spiel gegen England, verschießt er wieder einen Elfer (weil er jetzt nämlich einen Elfmeter-Komplex hat, jaja, so schnell geht das) und darf wieder der Prügelprinz-Poldi sein und auf der Titelseite der Bildzeitung weinen. Oder die Engländer scheiden gegen Deutschland im Elferschießen aus - was ja eh der erwartete Turnierverlauf wäre. Oder Henry James, der älteste Torhüter der Welt, wird zum großen Helden. Na gut, zu spinnen muss man nicht gleich anfangen...


Spieler des Tages: Landon Donovan again, der Held von Pretoria, der den American Dream am Leben hielt und die Soccer-Story weitergehen lässt. Der uns gezeigt hat, dass er - und als Captain somit auch stellvertretend für sein Team - sich nicht unterkriegen lässt und den Ungerechtigkeiten zum Trotz bei diesem Turnier noch einiges erreichen will.



Ein Wort zu Wimbledon:


Bei allem Trara rund um die WM sollte man nicht vergessen, dass in London gerade das wichtigste Tennisturnier der Welt stattfindet. Dort haben vor zwei Tagen zwei Herren, einer aus den USA und einer aus Frankreich, ein Match begonnen, das bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fertig gespielt wurde. Die Partie zwischen John Isner und Nicolas Mahut (der bis jetzt wohl noch kaum jemandem ein Begriff war) steht 59:59 im fünften Satz und dauert nun schon über 10 Stunden. Gestern wurde bei genau diesem Stand abgebrochen und heute geht's weiter beim längsten Tennismatch aller Zeiten. Von der körperlichen und psychischen Leistung, die bei so einem Match den Kontrahenten abverlangt wird, kann man sich eigentlich keine Vorstellung machen. Es gab zwar schon Match- und Breakbälle, aber im großen und ganzen ist es so, dass im fünften Satz jeder sein Aufschlagspiel relativ gefahrlos durchgebracht hat. 118 Games allein im fünften Satz. Das ist ermüdend. Und die beiden machen weiter und schlagen sich die Asse um die Ohren (Isner steht bei 98, Mahut bei 94).

Wie spielt man da weiter? So ein Match will man einfach nicht verlieren, auch wenn man der Platz in den Geschichtsbüchern schon reserviert ist. Dass es so etwas nie mehr geben werde (John Isner) und man Teil davon war, ist nachher ein schwacher Trost. Gratulation aber an den Herrn Mahut, der steht nämlich auf Platz 148 der ATP-Liste, Isner auf Platz 19. Die Superlative überschlagen sich natürlich angesichts eines solchen Spiels: Da ist von "unthinkable Records" die Rede, von einem "Battle of epic proportions" etc. Es ist wirklich unglaublich, ja eigentlich unwirklich.

Der größte Tennisspieler aller Zeiten meint dazu: "I have almost no words anymore watching this. It's beyond anything I've ever seen and could imagine. I don't know how their bodies must feel the next day, the next week, the next month. This is incredible tennis," ... "For them to serve the aces they served and stay there mentally is a heroic effort. As we know, we have no draws in tennis, so there will be a loser. But I guess in this match, both will be winners because this is just absolutely amazing."

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