Dienstag, 8. Juni 2010

Die Großen und die Kleinen

Favoriten sterben bekanntlich zuletzt
oder

Wer wird Weltmeister? Und wollen wir das überhaupt jetzt schon wissen?


Was ist eine Weltmeisterschaft? Es ist eine Meisterschaft, bei der theoretisch alle Nationen der Welt mitmachen können. Und was ist nun eine Meisterschaft? Darauf gibt der bayrische Liedermacher Fredl Fesl folgende Antwort: „Am Ende der Meisterschaft weiß man, wer am meisten schafft.“ So weit, so gut.

Es geht also darum, zu ermitteln welche die beste Nationalmannschaft der Welt ist. Und ob es einem gefällt oder nicht, am Schluss des Turniers muss man wohl oder übel anerkennen, dass der Weltmeister ein verdienter solcher ist. Beim momentanen Turniermodus wird man sich schwer tun, alles auf Glück zu schieben; einen vollkommenen unverdienten Weltmeister gibt es nicht. Wie wichtig ist aber für uns Zuseher eigentlich, wer Weltmeister wird - abgesehen davon, dass manche vielleicht Geld auf eine Mannschaft gesetzt haben?

Anscheinend ist es sehr wichtig, denn im Vorfeld einer WM dreht sich alles naturgemäß um die Frage, wer es denn nun machen wird. Wer aber sind die Mannschaften, die bis jetzt genau das geschafft haben? Es sind Uruguay, Italien, Deutschland, England, Argentinien und Frankreich. Sechs Teams also. Und alle sechs sind auch diesmal wieder dabei. Von 32 Mannschaften sind 26 noch nie Weltmeister gewesen. Und von den sechs, die es bis jetzt waren, kann man streng genommen niemanden ausschließen. Gut, Uruguay wird es höchstwahrscheinlich nicht schaffen. Frankreich wahrscheinlich auch nicht. England hat es auch erst einmal geschafft. Aber mit Italien, Deutschland, Brasilien und Argentinien sind die ewigen Favoriten schon wieder genannt. Wie bei jeder WM. Langweilig also.

Italien, Deutschland, Brasilien und Argentinien könnte man mit Städten vergleichen. Nehmen wir London, New York, Paris und Berlin. Das sind alles tolle Städte, keine Frage und wenn es sich ausgeht, sollte da jeder schonmal gewesen sein. Dann gibt es aber Städte, die sich in den letzten Jahrzehnten gemausert haben. Hamburg etwa, Kopenhagen oder Barcelona, von welchen man sagt, dass man da auch schonmal gewesen sein sollte. Das sind die sogenannten Second Cities, die sich im Schatten ihrer großen Brüder zu lohnenswerten Reisezielen entwickelt haben und auf die eine oder andere Art cooler, hipper, gemütlicher oder verrückter sind als die ganz großen vier. Ähnliches gilt auch für die Fußball-WM. Da gibt es Mannschaften, ewige (geheime)Favoriten, die es irgendwann mal schaffen müssen. Weil wir das so wollen. Damit es also nicht langweilig ist.

Spanien war immer so eine Mannschaft und endlich haben sie es vor zwei Jahren geschafft, die EM zu gewinnen. Demgemäß sind sie auch für die WM ein heißer Tipp. Griechenland war das 2006 aber nicht, weil Griechenland keine Second City ist. Griechenland ist sowas wie Wolgograd - muss man nicht gesehen haben, aber wenn man zufällig hinkommt, ist es vielleicht ganz nett. Ein zweites Mal fährt man aber nicht hin.

Holland ist auch so eine Geschichte. Müssten die nicht einmal Weltmeister werden? Viel mehr als ein Semifinale traut man ihnen aber im Vorfeld nie zu. Außer vor zwei Jahren bei der EM, da schien es, als hätten die nach der Vorrunde einen Fixplatz im Finale gebucht. Es kam aber dann bekanntlich anders...

Eigentlich ist die Diskussion darüber, wer Weltmeister wird, müßig. Ebenso wie die Frage, welche die beste, schönste, aufregendste Stadt der Welt ist. Erstens, weil es sich ja alle vier Jahre ändert und zweitens, weil die großen Überraschungen nie stattfinden. Zumindest nicht in den Halbfinal- bzw. Finalspielen. Letztlich sind wir ja doch wieder ein bisschen enttäuscht, wenn es wieder Italien würde; oder Brasilien; oder gar - Deutschland. Wir wären aber auch irgendwie enttäuscht, wenn die USA Weltmeister würden. Das allerdings wäre wieder eine sensationelle Enttäuschung - da hätten wir was davon. Wird aber nicht passieren. Weil Boston nie Washington als Hauptstadt ablösen wird und weil es in Moskau im Winter immer kalt ist.

Eigentlich wollen wir gar nicht wissen, wer die WM gewinnt. Wir wollen Kracher-Spiele sehen. Denn am Ende werden es wieder die grandiosen Viertel- und Halbfinalspiele sein, die die Höhepunkte des Turniers markieren. Weil der Hausmeister weiß: „Eröffnungsspiel und Finale: Immer schlecht.“ Was die möglichen Viertel- und Halbfinalpaarungen angeht, könnten wir diesmal wirkliche Dramen erleben - wenn alles „gut geht“, d.h. wenn die erwarteten Favoriten ihrer Rolle gerecht werden. Das bedeutet, wir ziehen aus etwas Langweiligem (einem vorhersehbaren Turnierverlauf) die Hoffnung auf etwas Sehenswertes (gute Viertel- und Halbfinalspiele), um dann im Finale wieder gelangweilt zu werden. Denn für uns ist die WM schon während des Finales vorbei, nicht erst danach.


Das ist also eine Weltmeisterschaft: ein Turnier von erfüllten und enttäuschten Erwartungen, bei dem am Ende einer von den großen Vieren gewinnt. Hat man vor, sich die WM gar nicht richtig ansehen zu wollen, so sollte man entsprechende Ausnahmen am 2., 3., 6. und 7. Juli machen. Da steigen nämlich die erwähnten Viertel- und Halbfinalpartien. Das sind Reisetipps für Städte wie St. Petersburg, Prag, Dublin oder Budapest. Sollte man gesehen haben. Zahlt sich aus!

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