Montag, 7. Juli 2014

Louis van Gaal - Wechselgott

Das Geheimnis eines guten Trainer ist es, Dinge zu tun, die keiner nachvollziehen kann, und just mit diesen Dingen erfolgreich zu sein. Louis van Gaal ist so ein Trainer. 

 

NED - CRC 0:0 (4:3 n.E.)


Ich war schon wieder dabei, Louis van Gaal zu verfluchen. Schon wieder keine erkennbaren Offensivbemühungen über weite Strecken des Spiels. Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle. Gegen den Underdog Costa Rica bewahrte man zwar die meiste Zeit über die Überhand, aber aufregend war es nicht. Die seltsame Strategie der Holländer scheint psychologisch geleitet: "Wenn wir gegen einen absoluten Außenseiter ein 0:0 halten, verhindern wir allzu geschäftige Aktivität seinerseits, weil der ja das Unentschieden als Erfolg verbuchen kann. Dann genügt uns ein spätes Tor und wir müssen uns nur noch kurze Zeit gegen verzweifelte Sturmläufe wehren, dann haben wir es geschafft." Und enstprechend plätscherte dann das Spiel dahin.

Kontrolle ist ja schön und gut, und in Hollands Fall auch wirksam: Schließlich gelang den Ticos der erste und einzige Torschuss erst in der Verlängerung. Wenn man dann aber weder zum Ende der Spielzeit noch in der Verlängerung ein Tor schießt, liefert man sich als Favorit der Gefahr aus, im Elfmeterschießen gegen einen Zwerg auszuscheiden. Natürlich hatte Costa Rica Glück, denn die Niederländer trafen drei Mal nur die Stange. Es schien auch irgendwie gerecht, dass es diesmal mit dem späten Tor nicht klappen wollte. Dabei darf man nicht vergessen, dass Costa Rica seinen Möglichkeiten entsprechend agierte und mit aller Kraft verteidigte. Und das machte die Mannschaft von Trainer Jorge Luis Pinto auch hervorragend.

Holland ließ das nervös werden, denn man wusste um die Klasse des gegnerischen Torwarts und um die bescheidene Klasse des eigenen. Van Gaal liebt keine Überraschungen, und daher brachte er Sekunden vor Ende der Verlängerung den Ersatztorman Tim Krul. Diese Einwechslung betitelte Oli Kahn nach dem Match als "größten Schwachsinn", den er je gesehen habe. Und tatsächlich war dieses einzigartige Kuriosum irgendwie schwachsinnig. Es ist eine dieser Aktionen, die sich nur im Nachhinein rechtfertigen lassen, und dann auch nur, wenn alles gut geht. Einen unaufgewärmten Tormann von der Bank in ein so wichtiges Elfmeterschießen zu schicken und dafür eine der drei Wechselmöglichkeiten zu verbrauchen, ist zumindest abenteuerlich. Tim Krul ist kein Elfmeterkiller - keine Statistik belegt das. Jasper Cillessen zwar auch nicht, der hätte sich aber zumindest die Chance verdient, zum Matchwinner zu werden. Er wusste natürlich vorher nichts davon. Tim Krul hingegen schon.

Tim Krul also geht zum Elfmeterschießen aufs Feld und raunzt vor jedem Schuss der Costa Ricaner den Schützen an. "Ich weiß, wohin du schießt!", schreit er ihnen entgegen und zeigt dabei auf seine Brust. Das sind Mätzchen der alten Schule. Eigentlich dachte ich, sowas macht keiner mehr. Warum es Tim Krul gemacht hat, ist fraglich. Einerseits natürlich zur Einschüchterung, und der Gedanke dahinter ist nachvollziehbar, denn die Costa Ricaner sind alles, nur keine abgebrühten Vollprofis, die jede Woche ein so bedeutendes Spiel entscheiden müssen. Andererseits diente Kruls Gelaber vielleicht auch ihm selbst. Als Ersatztormann kommst du nicht einfach rein und hältst in einem WM-Viertelfinale zwei Elfmeter. Da musst du die wenige Zeit dazu nutzen, ein bisschen psychologisches Momentum zu bekommen. Krul hat das eben so gelöst.
Und tatsächlich hielt er zwei Elfmeter. So avancierte der kurz Eingesetzte zusammen mit seinem Trainer, dem Wechselgott van Gaal, zum Helden des Abends. Louis van Gaals Wechsel haben bis jetzt immer spielentscheidende Wirkung gehabt: Gegen Mexiko macht Huntelaar den Elfer. Gegen Chile treffen Fer und Depay - beide kamen von der Ersatzbank. Gegen Australien macht Depay den Siegtreffer - nach Einwechslung. Nur im ersten Spiel gegen Spanien war kein Wechsel nötig, um das Spiel zu entscheiden.

Man kann behaupten, dass das Zufall ist. Ich glaube es aber nicht, denn das niederländische Spiel zielt derzeit genau darauf ab, den Gegner einzulullen, um dann in der Schlussphase taktisch umzustellen und aggressive Angriffe zu fahren. Dass dann die jeweils neuen Spieler die Treffer machen, auf deren Rolle sich die verteidigende Mannschaft nur ungenügend einstellen konnte, ist kein Zufall. Und wenn das nicht klappt, dann wartet man eben bis zur 120. Minute und schickt dann einen neuen Keeper rein, der den Rest erledigt. Eine großartige Geschichte war das allemal.
Zudem sollte man nicht vergessen, wie gut die Elfmeter der Holländer geschossen waren, denn der eigentliche nominelle Elfmeterkiller stand bei Costa Rica im Tor!

Holland steht im Halbfinale und trifft dort auf einen alten Bekannten: Argentinien, gegen das es 1978 ein WM-Finale verlor, das sie eigentlich gewinnen hätten sollen. Argentinien hingegen hat den eigentlichen Weltmeister Belgien geschlagen und somit dafür gesorgt, dass die Halbfinalpaarungen sich lesen wie ein Who-is-who der größten Fußballnationen der letzten 50 Jahre. Dass hinter den großen Namen viel heiße Luft steckt, ist uns im Laufe des Turniers klar geworden. Nach dem ersten Spiel hätte ich Argentinien kein Halbfinale zugetraut - vor dem Turnier allerdings schon. Nach dem zweiten Spiel waren meine Zweifel noch größer und sie sind nie kleiner geworden. Jetzt stehen sie trotzdem dort, wo die Erwartungen vor dem Turnier sie eigentlich hingesetzt hätten: Im Halbfinale.

Wie das mit Deutschland und Brasilien ist, habe ich ja schon gesagt: Prinzipiell wäre ein Turniersieg beider Mannschaften irgendwie in Ordnung, wenn auch keine wirklich überzeugt hat. Brasilien hat natürlich nach dem Ausfall von Neymar (und der Sperre von Thiago Silva, die fast noch schlimmer ist) den Auftrag, den Finaleinzug trotzdem zu schaffen. Das gehört zu jeder guten Geschichte dazu. Dass Deutschland da jetzt als Bösewicht auftritt, passt nicht nur den Brasilianern gut ins Konzept. Die Deutschen betonen ein wenig zu viel, dass der Ausfall von Neymar tragisch ist, denn man hätte gerne gegen die allerbesten Brasilianer gespielt (jaja!). Währenddessen sucht Deutschland noch immer seinen WM-Helden, denn momentan sieht man noch auffällig viele mit Merkel-Masken im Publikum sitzen...

Auch, dass jetzt lauter Nicht-Überzeuger im Halbfinale stehen, macht die ganze Sache erst richtig gut: Denn jede mögliche Finalpaarung wäre für sich genommen ein Kracher, so wie die Halbfinalspiele auch schon Kracher sind. Spielerisch erwarten wir uns jetzt eh nichts mehr, weil Belgien, Frankreich und Kolumbien ja weg sind. Aber ich bin mir sicher, dass uns noch einige seltsame und bemerkenswerte Vorkommnisse bevorstehen!

Held des Tages:
Tim Krul, der Elfmeterkiller, der nie einer war, und jetzt doch einer ist. Eine denkwürdige Einwechslung!

Tragischer Held des Tages:
Sneijder, der es immer noch kann, und trotzdem zwei Mal nur das Aluminium traf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen