Dienstag, 8. Juli 2014

Abgesang auf den Zwergerlgarten


Jetzt reden alle nur mehr von den Favoriten. Die Mannschaften, die Würze in die WM gebracht haben, sind nun alle weg. Zeit also, sie nochmal kurz hochleben zu lassen...



Nacheinander implodieren bei dieser WM die Storylines: Zuerst schien es das Turnier der Außenseiter zu werden, vor allem, nachdem sich Italien und Spanien nach der Vorrunde verabschiedet haben, und mit Kolumbien, Costa Rica, Algerien und den USA durchaus überraschende Achtelfinalkandidaten erwuchsen. Dann gab es noch Chile, Belgien und Frankreich, die nach einer guten Vorrunde bereit für mehr zu sein schienen.

Doch plötzlich entschied sich der große Fußballgott, alle Überraschungs-Hoffnungen im Keim zu ersticken, und so kamen alle Gruppenersten der Vorrunde ins Viertelfinale, wo sich dann letztlich die Favoriten am Papier allesamt durchsetzten. Wie das geschehen ist, interessiert spätestens jetzt keinen mehr, denn die Halbfinalpaarungen sind das, was man sich schon am Anfang erwartet hätte: Zwei südamerikanische und zwei europäische Mannschaften. Gut, Holland hätte vorher wohl keiner wirklich auf dem Papier gehabt, aber immerhin steht hier der Vizeweltmeister erneut im Halbfinale - so überraschend ist das dann auch wieder nicht.

Das zeigt, dass alles nichts zu helfen scheint: Gegen die "großen Nationen" ist kein Kraut gewachsen. Und bevor die üblichen Verdächtigen den Titel unter sich ausmachen, hier ein kleiner Abgesang auf die Zwergerl und Sitzriesen dieses Turniers:

Algerien:
Die Mannschaft, die am besten gezeigt hat, was man mit purem Willen und strenger Taktik leisten kann. Der Last-Minute-Aufstieg gegen die uninspirierten Russen war ein kleines Highlight in der Vorrunde. Denn nach einer anständigen Partie gegen Belgien wusste man, dass hier keine Gaudi-Truppe am Werk ist, sondern eine Mannschaft, die es versteht, das meiste aus ihrem Potenzial zu machen. Im Spiel gegen Deutschland hat sich die Fußballwelt dann wohl doch zu viel erwartet - und das beinahe zu Recht. Ich würde gerne sagen: Beim nächsten Mal klappt es dann. Aber nein, das sage ich jetzt nicht!

Belgien:
Der Geheimfavorit. Selten wurde dieses Wort so überstrapaziert wie im Bezug auf die belgische Mannschaft. Dabei hielten sie uns lange hin. Als es dann soweit war, und der Geheimfavorit endlich aufspielte, in einem Match gegen die USA, das vielleicht jenes mit der besten Verlängerung des Turniers war, war man entsetzt, wie viele Torchancen dieser Geheimfavorit liegen ließ. Und dann war es auch schon vorbei, und man scheiterte an abgebrühten Argentiniern. Schade, allzu viel hat man nicht gesehen von den Belgiern. Wir dürfen uns aber sicher auf die nächste Europameisterschaft mit den Roten Teufeln freuen!

Kolumbien:
Für mich die Mannschaft des Turniers. Ihr zuzusehen hat einfach immer Spaß gemacht. Entweder waren es die Bilder der wunderbaren Fans, oder das inspirierte Spiel von Akteuren wie Cuadrado oder James Rodriguez - Kolumbien bot Action und Spielwitz. Dass der große Star Falcao gar nicht so arg gefehlt hat, wie zunächst befürchtet wurde, spricht für die Mannschaft, die sich nicht auf einen Wunderknaben verlässt, sondern konzentriert, diszipliniert - aber vor allem inspiriert (immer wieder dieses Wort!) ihr Spiel macht und sich von großen Namen überhaupt nicht einschüchtern lässt (siehe das Match gegen Brasilien). Gerne wieder, gerne mehr!

Ghana:
Sie mögen zwar von der Papierform her nicht die beste afrikanische Mannschaft sein, und in diesem Turnier haben sie auch nicht am besten von allen Teams aus Afrika abgeschnitten, aber Ghana hat sich zu einem Team gemausert, mit dem immer zu rechnen ist. Anders als die Teams von Kamerun oder der Elfenbeinküste zeigen die Ghanaer weniger Anfälligkeiten für Hahnenkämpfe und vergessen am Feld nicht, worum es eigentlich geht: nämlich um Fußball. Ich befürchte, dass dieses Ghana nur ein kleiner Stern auf Zeit ist. Aber die Mannschaften von 2010 und 2014 werden wir nicht vergessen, weil sie uns unglaubliche Matches geliefert haben!

Costa Rica:
Unglaublich war auch die Mannschaft aus Costa Rica. Noch einmal: Zuerst setzen sich die Ticos in einer Gruppe mit Italien, Uruguay und England als Gruppenerster durch und erreichen danach das Viertelfinale. Zwei Mal zwingt die defensiv unglaublich gut agierende Elf ihre Gegner ins Elfmeterschießen. Einmal die europäischen Defensivmeister aus Griechenland und einmal die Holländer. Somit beendet Costa Rica diese Weltmeisterschaft ungeschlagen und fährt erhobenen Hauptes nach Hause. Jorge Luis Pinto ist jetzt schon der Coach des Turniers, und die Ticos können sich nach diesem Erfolg nun wieder dem "pura vida" widmen. Das war großartig, das war die große Überraschung!

USA:
Ich habe diese Mannschaft schon genug über den grünen Klee gelobt. Vielleicht auch oft zu Unrecht. Trotzdem: Die Amerikaner sind mir ans Herz gewachsen. Sie sind keine großartigen Fußballer, aber sie zeigen immer Leidenschaft, geben nie auf und halten nichts von Hinten-rein-Stellen. Sie sind eines der wenigen Teams, das sich traut, einfach das zu spielen, was es glaubt zu können. Das hatten sie auch schon vor vier Jahren getan, und jetzt taten sie es wieder - mit wachsender Begeisterung. Letzteres ist auch Jürgen Klinsmanns Verdienst, der vielleicht als der Mann, der Soccer salonfähig gemacht hat, in die amerikanische Sportgeschichte eingehen wird. Ich behaupte, wir sind gerade Zeuge der Geburt des amerikanischen Fußballwunders. Nicht, dass sie schon in vier Jahren zu den Favoriten gehören werden; aber wenn die Amerikaner einmal etwas für sich entdeckt haben, dann wollen sie auch die Besten darin werden...

Wem von diesen "Zwergerln" wir auch beim nächsten Mal wieder zujubeln werden können, ist ungewiss. Vielleicht schafft es die eine oder andere Nation sich zu etablieren, vielleicht ist die eine oder andere das nächste Mal schon gar nicht mehr dabei. Dann wird es aber andere geben. Denn ohne diese Mannschaften ist eine WM so schal und leer wie Computerschach. Dass dieses Turnier so aufregend war, lag nicht zuletzt an diesen Teams aus der zweiten und dritten Reihe: Eigentliche Zwerge, die für ein Turnier ins Riesenhafte wachsen können.

PS: Freilich, das waren jetzt nicht die ganz kleinen Zwergerl wie Iran, Honduras oder Südkorea. Aber bevor wir uns über die unterhalten, wünsche ich mir von ihnen, dass sie beim nächsten Mal auch was Erzählenswertes abliefern, anstatt nur brav ihrer Außenseiterrolle zu entsprechen.


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