Montag, 7. Juli 2014

Ein Echo

Ein schmerzhafter Ausfall und ein einfaches Freistoßtor und schon haben wir das erste Klassiker-Halbfinale dastehen. Von Tiki-Taka ist nun weit und breit nichts mehr zu sehen.

 

GER - FRA 1:0




Es macht sich bemerkbar: Spielerisch überlegene Mannschaften kommen auch diesmal nicht zum Zug. So hat die deutsche Mannschaft die Franzosen gestern vor allem durch körperliche Überlegenheit in der Abwehr in Schach halten können. Deutsche Chancen fanden sich vor allem nach Kontern (Schlussphase) bzw. eben bei Standardsituationen. Nach so einer fiel auch das einzige Tor. Der gestern wieder enorm spielende Mats Hummels traf schön per Kopf zum 1:0 - und dabei blieb es auch.


Die Franzosen waren bei dieser WM die spielerisch überzeugendste Mannschaft. Das zeigte sich vor allem in den ersten beiden Gruppenspielen beeindruckend. Das dritte betritt man mit kompletter B-Ganitur, und im Achtelfinale tat man sich gegen inspirierte Nigerianer sichtlich schwer. Dass Frankreich gegen Deutschland sein schnelles Kombinationsspiel aufziehen konnte, überraschte doch ein wenig. Letztlich aber waren es die vielen in die vorderen Reihen gespielten hohen Bälle, die immer wieder zu Ballverlusten führten, weil man zweikampftechnisch eben fast immer das Nachsehen hatte. Mehr Kombinationsspiel - schnelle Passstaffetten und Laufarbeit - wäre vielleicht zielführender gewesen. Bei solchen Aktionen spielte man das deutsche Mittelfeld immer wieder schwindlig.



Gratulation an die deutsche Mannschaft, die nach der zweifelhaften Partie gegen Algerien wieder zu alter Stärke zurückfand. Alt deswegen, weil das allseits gelobte deutsche Angriffsspiel gestern wieder dem traditionelleren Ansatz von Mauern und Kontern weichen musste. Vielleicht liegt es daran, dass die großen Akteure des Klinsmann'schen bzw. Löw'schen Tikitakas deutscher Prägung bei diesem Turnier bisher hinter den Erwartungen geblieben sind. Das betrifft etwa Mesüt Özil, aber auch Sami Khedira, die beide noch vor vier Jahren als das beste Kreativmittelfeld neben den Spaniern galten.

Vielleicht liegt es aber auch an dem deutlichen Scheitern des spanischen Systems, dass man sich jetzt selbst auch nicht mehr zutraut, etwas Ähnliches zu spielen. Man hat mitverfolgt wie TikiTaka zu Grabe getragen wurde; just von einer Mannschaft, die ihren spielerischen Ansatz vor vier Jahren in einem denkwürdigen WM-Finale selbst beerdigt hat. Holland nämlich spielt nur noch kreativen Offensivfußball, wenn es wirklich wirklich muss. Ansonsten herrscht auch hier der Defensivgedanke. Das ist - wie im Falle Deutschland - zwar nicht schändlich, aber schade.



BRA - COL 2:0



Auch Brasilien hat erkannt, dass das juego bonito immer dann dem Ergebnisfußball weichen muss, wenn es in die heiße Phase geht. So sah man gestern gegen Kolumbien, das seinerseits auf das ruppige brasilianische Spiel zu reagieren versuchte, eine hart geführte aber doch gute Partie mit vielen Fouls, die teilweise nicht entsprechend (nämlich früh genug) sanktioniert wurden. Der harte Ansatz zeigt eine Kultur der Spielzerstörung (oder zumindest Spielverhinderung), die auf mangelndem Selbstbewusstsein beruht. Dass ein solcher Ansatz, den Holland im Finale von 2010 schon verfolgt hatte, letztlich nicht belohnt wurde, ist irgendwie gerecht. Auch wenn ich es damals natürlich gerne anders gesehen hätte. Brasilien und Holland könnten auch anders - deswegen ist das schade.


Das Endergebnis stimmt natürlich trotzdem, sowohl auf dem Papier als auch nach dem Spielverlauf. Die zunehmend verkrampft agierende Heimmannschaft steht zu Recht im Halbfinale und trifft dort auf Deutschland. Bezeichnend, dass in beiden Partien, die Tore allesamt von Innenverteidigern erzielt wurden - und aus Standardsituationen. Wir können uns auf ein zerfahrenes Match einstellen, an dessen Ende vielleicht sogar ein Elfmeterschießen steht. Das heißt, solange nicht Julio Cesar in der regulären Spielzeit ein Schnitzer passiert. Das gab es ja auch schonmal…





Dass so oft die Mannschaft mit dem geringeren Unterhaltungswert gewinnt, macht den Fußball suspekt. Vielleicht ist es dieser Umstand, der das amerikanische Unbehagen dem Soccer gegenüber erklären könnte. Fußball ist nicht gerecht, das habe ich an anderer Stelle schon mal geschrieben. Gerechtigkeit ist keine Kategorie, weil das mit dem Fußballgott, auch wenn er sich anscheinend logisch herleiten lässt, nicht funktioniert. Weil eben nicht immer die bessere Mannschaft gewinnt, oder zumindest die Mannschaft, der wir den Sieg aus verschiedenen Gründen eher gönnen würden, ist Fußball oft höchst unbefriedigend.

Wenn Deutschland, Brasilien oder Holland Weltmeister werden sollten, dann muss man andere Kategorien zur Rechtfertigung bemühen. Deutschland, weil es sich nach all den Jahren wirklich neuartigen deutschen Fußballs einen großen Titel verdient hätte. Dass dieser just bei jenem Turnier folgen würde, bei dem man beginnt, die großen Innovationen wieder ad acta zu legen, wäre natürlich traurig. Aber im Prinzip würde sich Deutschland belohnen für den Mut, eine neue Art Fußball spielen zu wollen.

Brasilien ginge als Eh-immer-Favorit und vor allem als Gastgeber des Turniers auch in Ordnung. Man wird sich in wenigen Jahren eh nur an Neymar erinnern können. Hoffentlich nicht mit der Storyline, dass der große Star im Viertelfinale niedergestreckt wurde und nie mehr zum Einsatz kam.

Holland verdient den Titel seit den 1970ern, und auch wenn von voetbal totaal nicht mehr viel übrig ist, gehört die Niederlande auf die Liste der WM-Titelträger. Genauso wie England. Einfach, weil es irgendwie passt. So nah wie vor vier Jahren sind sie dem Titel zuvor noch nie gekommen (außer 1978). Robben hatte ihn schließlich auf dem Fuß. Wenn es heuer klappen sollte, dann akzeptiert man das, weil Holland wieder am Ende einer großen Generation steht. Es sind noch einige Akteure der großen Niederländischen Mannschaften von 2008 und 2010 dabei: Robben, Sneijder, Van Persie, Kuijt. Diese Fußballer hätten sich einen Titel verdient. Was dieses Turnier anbelangt, geht es darum, dass die Holländer in ihrem Auftaktspiel die Zeitenwende herbeigeführt zu haben scheinen: Tiki-Taka ist ein Wort, das zu einem Echo taugt. Es hallt nach - über alle Kontinente hinweg auf vereins- wie auch auf internationaler Ebene. Aber in Wahrheit haben es immer nur die Spanier gespielt; nur sie haben die Fähigkeit dazu gehabt, nur sie das Personal. Sollte Holland Weltmeister werden, dann haben sie den Titel aus jetziger Sicht allein für die Komplett-Demontage der spanischen Elf verdient. Und für den Symbolcharakter, den dieses Spiel hatte.


Es bleiben noch Argentinien und Belgien. Und für die beiden gilt, was ich oben geschrieben habe genauso: Belgien sollte sich eigentlich durchsetzen - sie haben, ähnlich wie die Franzosen, einen Spielansatz, der auf Kreativität und technisch wie auch taktischem Geschickt beruht. Wie gut so ein belgisches Spiel aussehen kann, das sahen wir gegen die USA. Es bleibt nur zu hoffen, dass ein ähnliches Spiel gegen einen Verhinderungsansatz, wie er bisweilen sogar von Argentinien gespielt wird, erfolgreich sein könnte. Für die Belgier spricht, dass die Mannschaft gefestigter wirkt als jene der Franzosen, und dass sie es auch körperlich mit Dreschern aufnehmen können. Gegen sie spricht die relative Unerfahrenheit, wenn es um die Endphase internationaler Turniere geht bzw. einfach der Umstand, dass sie Belgien sind und nicht Deutschland, Holland, Brasilien oder Argentinien.

Einen großen Namen zu tragen wird vom psychologischen her mit Fortdauer des Turnieres immer wichtiger. Auch, ob man schon einmal Weltmeister war. Deswegen würde auch Holland in einem Finale gegen Deutschland oder Brasilien in dieser Hinsicht einen gewissen Nachteil haben - und Belgien sowieso.


Der Weltmeister kann eigentlich nur Belgien heißen. Aber weil Fußball eben nicht gerecht ist und sich schon gar nicht ausrechnen lässt, wird er höchstwahrscheinlich nicht Belgien heißen. Dennoch lassen sich, wie oben angedeutet, für jede Mannschaft (außer Argentinien und Costa Rica) recht gute Gründe dafür finden, dass ein Titel doch in Ordnung ginge. Wir werden diese Gründe brauchen; Rationalisierung nennt man das in der Küchenpsychologie. Sie macht schmerzvolle Erfahrungen erträglicher, weil wir uns diese erklärlich machen können.



Held des Tages:

Gab es heute nicht wirklich einen. Vielleicht einmal mehr Neuer, der in der 94. Mit einem tollen Reflex den deutschen Sieg rettete.

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