Dienstag, 12. Juli 2016

Nachschuss: Verdiente Europameister?

Es ist unfair, alles miteinander. Aber das ist egal, weil Fairness kennt der Fußball nicht. Gerechtigkeit auch nicht. Denn dann wäre Portugal schon vor 12 Jahren Europameister geworden und nicht erst jetzt. Portugal, das Brasilien Europas, das bekannt gwesen ist für einen soliden Kader ohne große Namen aber mit viel Spielfreude und Leidenschaft. Sie sind bekannt für das schönste Rot, das es je auf Fußballtrikots geschafft hat. Und sie sind bekannt für Cristiano Ronaldo, den besten Fußballer der Welt. Er hat es nun geschafft, ihm ist das gelungen, was Messi nicht gelungen ist: Den großen Titel mit der Nationalmannschaft zu holen. Und es ist Portugals erster großer Titel.

Der Europameistertitel für Portugal ist ziemlich gleich entstanden wie der WM-Titel für Deutschland. Nur noch extremer, in Euro-Manier. Europameisterschaften werden nämlich gerne mal von Außenseitern gewonnen. Deswegen ist der Erfolg von Island oder Wales eh gar nicht so überraschend. Überraschend ist vielmehr, dass es diesmal der ewige Geheimfavorit war. Denn die Euro gewinnen entweder Außenseiter oder Favoriten. Die Geheimfavoriten spielen bei den Euros eher die Rolle der Enttäuschenden, siehe Belgien. Aber Portugal, das, wie in jedem Turnier, als Geheimfavorit gestartet war, rutschte zusehends in die Rolle des Underperformers. Schon nach dem Spiel gegen Österreich wunderte man sich, was denn diesmal mit Portugal los sei. Dann das Spiel gegen Ungarn. Drei schöne Tore, wie portugiesisch! Leider hinten auch drei bekommen, sei's drum, bei dieser EM scheiden nur die schlechtesten Gruppendritten aus. (Wenn man die Regel so formuliert, wird es übrigens ganz klar, was bei diesem Turnier nicht gestimmt hat: Du musst richtig schlecht sein, um nicht ins Achtelfinale zu kommen. Nicht nur Nordirland-schlecht, sondern Russland-schlecht, Schweden-schlecht oder gar Österreich-schlecht!)

Dann kommt man mit Tugenden ins Finale, die man bisher nur von Italien oder auch Deutschland kannte. Taktisch diszipliniertes Spiel, sogar tendenziell defensiv angelegt, aber vor allem vorsichtig. So, jetzt haben sie uns enttäuscht, die Portugiesen. Sie spielen keinen westiberischen Hurra-Stil mehr, und dieser Ronaldo, der ist also doch ein ganz schlechter und für gar nichts gut. Wie ungerecht, dass so eine Mannschaft ins Finale kommt! Hätte man Portugal vor dem Turnier ins Finale getippt, hätte man höchstens zustimmendes Kopfnicken geerntet: "Jaja, Portugal! Immer gefährlich! Geheimfavorit!" Und dann standen sie tatsächlich im Finale und jeder meinte nur: "Schwach, nur Unentschieden gespielt! Nur hinten drin gestanden! Ronaldo sowieso schlecht!" Da hatte man vielfach schon vergessen, dass Portugal nominell eigentlich die zu favorisierende Mannschaft gewesen wäre - in ihrer Hälfte des Playoff-Baumes nämlich.

Das eigentliche Skandalon dieser EM ist, dass Italien gegen Deutschland verloren hat. In einem der furchtbarsten Elfmeterschießen, das ich je miterleben musste. "Wieder einmal Glück gehabt, die Deutschen!", hätte man sich denken können. Stattdessen beschworen die Deutschen nach dem Aus gegen Frankreich ihr Pech, und inszenierten sich als Opfer der fußballgöttischen Ungerechtigkeit, anstatt zu erkennen, dass gegen Italien schon hätte Schluss sein müssen. Logischer- und auch gerechterweise!
Und Frankreich? Großartige Mannschaft, die es genauso verdient gehabt hätte, das Turnier zu gewinnen. Nominell vielleicht das stärkste Team dieser Euro, mit Glanzmomenten von Payet in den ersten beiden Spielen, dann kam Griezmann, der große Star dieser Euro; und in deren Schatten mächtige Aufblitzer von Sissoko, Coman, Pogba und Konsorten. Fußballherz, was willst du eigentlich mehr als dieses Frankreich?

Europameister werden zum Beispiel. Doch das sind die geworden, die es sich in den letzten 12 Jahren am meisten verdient haben. Sie werden Europameister, weil sie es vorher nicht geworden sind. So wie Deutschland erst 2014 die Versprechen eingelöst hat, die seit dem Sommermärchen von 2006 bestanden. Portugal ist verdienter Europameister. Das wird einem aber nur klar, wenn man über diese EM hinausblickt. Portugal musste in die Geschichte eingehen und diesen Titel holen. So wie Holland 1988 Europameister werden musste, weil sie 1974 und 1978 nicht Weltmeister geworden waren. Das ist vielleicht doch die fußballerische Gerechtigkeit: Dass Nationen, die sich um den Fußball verdient gemacht haben, irgendwann doch belohnt werden.

Und CR7? Er ist nun doch der beste Fußballer der Welt, ob man ihn mag oder nicht. Dass sich allerdings die mediale Berichterstattung nur um ihn dreht, als hätte er den Titel im Alleingang geholt, ist lächerlich. Nicht nur, weil er kein besonders tolles Turnier gespielt hat, und im Finale so gut wie gar nicht anwesend war (außer in der Coachingzone), sondern auch, weil dieses Ronaldo-Abfeiern Portugals Triumph alles Würdige nimmt. Nämlich auch viel von dem, was vor diesem Turnier passiert ist. Das ist schade. Aber Ronaldo wird das wurscht sein. Mir eh auch, so wie mir diese ganze EM eigentlich recht wurscht war.

Genießt still im Schatten von CR7: Fernando Santos

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